Die Blutgabe - Roman
Lage versetzen, auch älteren Blutern gegenüberzutreten.«
Er ließ seinen Blick von einem zum anderen schweifen, und Red fröstelte. Kris sah zum Fürchten aus, dachte er und sah zu Will hinüber, der ein wenig blass im Gesicht war. Heute Abend würde Kris sie vermutlich beide sehr dringend brauchen.
»Mir ist bewusst, dass der Begriff ›älter‹ keine präzise Eingrenzung liefert«, fuhr Kris fort. »Leider hatte ich bisher aber keine Möglichkeit, das Limit näher zu definieren. Darum möchte ich euch bitten, keine unnötigen Risiken einzugehen. Der Einsatz des Wirkstoffs wird euch im Zweifelsfall zumindest ein Entkommen ermöglichen. Es muss ein primäres Ziel bleiben, vor allem junge Bluter auszulöschen, die noch kein Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass die Jagd auf Menschen selbst nach offiziellem Gesetz ein Verbrechen ist. Ich vertraue auf euer Verantwortungsgefühl.«
Er verstummte und sah jeden der Menschen noch einmal an, die – mehr oder weniger zögernd – alle nickten.
»Schön. Kommen wir also zum letzten Punkt.« Kris sah zu Hannah hinüber, die zustimmend den Kopf senkte. »Wir möchten diese Woche Chase und Sarah für die Dirty Feet vorschlagen. Chase als Schützen und Sarah als Teamer. Alles Weitere überlassen wir wie gehabt Tonys Entscheidung.«
Tony nickte knapp.
Kris lächelte, doch es wirkte unendlich viel müder als sonst. »Dann werden wir uns jetzt zurückziehen.«
Gemeinsam mit Hannah ging er an den Menschen vorbei, von denen immer noch niemand etwas zu sagen wusste. Die zwei Vampire so entkräftet zu sehen war ein ungewohnter und zugleich schrecklicher Anblick. Red fiel es schwer, zu begreifen, wie sie darauf kamen, solche mächtigen Waffen – mit denen sie sogar selbst ernsthaft verletzt werden konnten– zu entwickeln. War dieses Ziel, irgendwann alle Bluter zu vernichten, wirklich so wichtig?
Er dachte immer noch darüber nach, als er plötzlich aus dem Augenwinkel bemerkte, wie Chase den Arm hob.
»Kris?«
Kris, der mittlerweile schon fast fünfzig Meter entfernt war, blieb stehen und sah zurück. Und auch Hannah drehte sich zu ihnen um.
»Ja?«
»Nichts gegen Sarah – aber ich möchte Red als Teamer«, sagte Chase ruhig.
Reds Atem stockte. Neben sich hörte er Sarah nach Luft schnappen.
Kris hob die schmalen Brauen. »Aus welchem Grund?«
Chase hob die Schultern. »Er ist gut.«
Red starrte Chase ungläubig an. Er wollte mit ihm ein Team bilden? Draußen? In den Dirty Feet?
Doch Chase beachtete ihn gar nicht. Er sah nur abwartend zu den Vampiren hinüber.
Kris wechselte einen Blick mit Hannah. Sie schien einen Moment zu überlegen. Dann nickte sie.
»Also gut«, sagte Kris. »In dem Fall – Chase und Red für die Dirty Feet. Viel Erfolg.«
Red hatte das Gefühl, von etwas sehr Großem und sehr Hartem auf den Kopf getroffen worden zu sein. Benommen starrte er Hannah und Kris nach, die sich nun endgültig abwandten. Er würde nach draußen gehen! Nach draußen! Der Moment, auf den er so lange gewartet hatte – er war endlich da. Der Gedanke machte ihn schwindelig.
Endlos lange Zeit sagte niemand ein Wort.
Schließlich räusperte sich Tony und schien damit alle –außer vielleicht Chase, der den Vampiren mit grimmiger Zufriedenheit nachsah – aus einem betäubungsähnlichen Zustand zu wecken.
»Na dann«, brummte er und rieb sich das kantige Kinn. Selbst er war offensichtlich zu überrascht von der plötzlichen Wendung der Ereignisse, um noch seinen üblichen lauten Ton beizubehalten.
»Eigentlich hatte ich vorgehabt, dich erst nächste Woche einzuteilen, Red.« Er musterte ihn unter finster gesenkten Brauen. »Aber die Herrschaften scheinen anderes für richtig zu halten.« Er schüttelte leicht den Kopf. »Sarah, dann gehst du mit Will und Claire.« Er schnaufte. »Unsere Turteltäubchen können ein bisschen handfeste Unterstützung gut gebrauchen. Dein Einsatz war sehr gut heute.«
Sarah antwortete nicht. Sie hatte die Unterlippe zwischen die Zähne geklemmt und sah angestrengt zu Boden. Trotz aller Freude bekam Red bei dem Anblick ein schlechtes Gewissen. Er wusste, wie ehrgeizig sie war. Und er begriff, dass es sie hart treffen musste, auf diese Weise ausgemustert zu werden.
»Nachher will ich dich in meiner Hütte sprechen. Euch anderen sehe ich nächste Woche«, sagte Tony noch, bevor er sich abwandte. »Viel Erfolg für die nächsten Tage.«
Mit einem letzten Nicken in Sarahs Richtung verschwand der große Vampir zwischen den
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