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Die Blutgabe - Roman

Die Blutgabe - Roman

Titel: Die Blutgabe - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franka Rubus
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dass er sich immer noch Gedanken machte. Es tat ihr leid, ihm Sorgen zu bereiten. Aber sie konnte sich nicht überwinden, von der Begegnung mit Kris auf dem Flur zu erzählen.
    Cedric brauchte Kris, das hatte er selbst gesagt.
    Vorsichtig streckte Katherine sich auf dem Rücken aus.
    Kühle Finger legten sich an ihre Wange.
    »Bist du sicher, dass du das willst?« Cedric betrachtete forschend ihr Gesicht. »Wenn du einfach nur hier schlafen möchtest, ist das auch in Ordnung, das weißt du.«
    Katherine lächelte schwach.
    »Ich weiß«, murmelte sie und schämte sich, ihn so anzulügen. »Aber ich will es. Wir müssen doch weiterkommen.«
    Cedric seufzte leise. Doch er sagte nichts mehr.
    Noch einmal würde er nicht fragen.
    Seine Finger glitten zu ihren Schläfen hinauf, und kurz darauf breitete sich in Katherines Körper ein feines Kribbeln aus. Ihre Muskeln erschlafften. Ihre Lider sanken herab. Dunkelheit umfing sie, unterbrochen von winzigen roten Blitzen. Bilder tauchten vor ihrem inneren Auge auf, in so schneller Folge zunächst, dass sie nichts erkennen konnte. Dann wurde der Bilderfluss langsamer. Sie sah die langen, kalt beleuchteten Gänge von White Chapel. Ihre Wohnung. Cedrics Wohnung. Orte, die ihr so vertraut waren wie ihre eigene Hand. Allgemeinplätze, hatte Cedric ihr zu Beginn der Therapie erklärt. Dinge, die sie jeden Tag vor Augen hatte, und die daher leicht aus ihrem Gedächtnis abzurufen waren. So fing es immer an.
    Schließlich blieben die Bilder stehen. Dies war der Punkt,an dem Cedric jedes Mal eine Pause einlegte. Und Katherine wusste, er sammelte seine Kräfte. Denn nun würde er beginnen, von der höheren Funktion seiner Blutgabe Gebrauch zu machen: die Stimulation ihrer Nervenzellen, und die Reaktivierung von schlafenden synaptischen Verbindungen, die sie eines Tages hoffentlich zu den verborgenen Orten in Katherines Gehirn führen würden, an denen die Erinnerung an ihr menschliches Leben vergraben lag.
    Katherines Zunge lag als aufgequollener Klumpen in ihrem Mund. Aber sie wusste, dass Cedric nun jedes unausgesprochene Wort hören konnte.
    Wohin gehen wir heute?
    Cedric antwortete nicht sofort, und Katherine spürte, dass er nachdachte. Er hatte etwas vor und war sich nicht sicher, ob er es ihr in ihrer heutigen Verfassung zumuten konnte.
    Wir versuchen es heute noch einmal
, sagte er schließlich.
Wir gehen nach Kenneth.
    Katherine zuckte innerlich zusammen. Damit hatte sie nicht gerechnet. Kenneth. Dort war der Ort ihrer ältesten Erinnerung. Wie sie aufgewacht war, neben sechs blutleeren Menschenkörpern, und sich selbst wieder als lebendes, denkendes Wesen begriffen hatte. Ein Wesen, dessen wiedererwachtes Gewissen wusste, was das Wort »Mord« bedeutete …
    Einmal erst war sie mit Cedric dort gewesen, vor über fünf Jahren, kurz nachdem sie mit ihrer Therapie begonnen hatten. Und sie hatte gehofft, dieses Entsetzen nie wieder spüren zu müssen. Seither waren sie stets in den sicheren Gefilden ihrer näheren Vergangenheit geblieben. Aus Sicherheitsgründen. Warum hatte er sie nicht vorher gefragt? Er konnte doch nicht vergessen haben …
    Beruhige dich. Du darfst keine Angst haben.
    Trotz der Taubheit in ihren Gliedern spürte Katherine, wie seine Hand über ihre Haut glitt. Doch seine Worte und seine Berührung verfehlten dieses Mal ihre Wirkung.
    Ich habe keine Angst um MICH, Cedric!
    Cedric schwieg eine Weile, und Katherine wurde klar, dass er aus eben diesem Grund so oft gefragt hatte, ob sie wirklich bereit für die Sitzung war: Er hatte gewusst, wie sehr es sie aufwühlen würde.
    Ich weiß
, sagte er endlich langsam.
Darum ist die Lähmung heute stärker als sonst. Vertrau mir, Katherine. Du wirst mir nichts tun können.
    Keine Angst … keine Sorgen … er sagte das so leicht dahin. Am liebsten wäre Katherine aufgesprungen – wenn sie nur gekonnt hätte.
    Doch schon spürte sie, wie es in ihren Nervenbahnen erneut zu prickeln begann. Schatten bewegten sich verschwommen in ihrem Blickfeld, formten sich zu hohen Häusern und schlecht beleuchteten Straßen: Das Wohnviertel, in dem sie gelebt und gejagt hatte. Sie erkannte es sofort, obwohl es seltsam unscharf war, als würde sie durch eine verschmierte Brille sehen. Sie schlurfte dahin, ihre eigenen Füße unter ihr der einzig klare Fixpunkt. Nackte Füße. Mit Blut bespritzt.
    Halt an, Katherine
, sagte Cedric.
I ch will mich umsehen.
    Die Füße verhielten in ihrem Schritt.
    Die Dirty Feet
, murmelte Cedric. Er

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