Die Blutgabe - Roman
der Zeit. Zeit, ihn zu rufen.
Kris war unruhig, schon seit er an diesem Morgen aus White Chapel zurückgekehrt war. Unruhig – und hungrig. Die Konserve des Doktors hatte sein Verlangen nach Blut eher gesteigert als gemildert. Und trotzdem hatte er davon abgesehen, Will an diesem Nachmittag zu sich zu rufen. Heute wollte er sich ganz für Red aufsparen.
Wenn er doch nur mit Sicherheit gewusst hätte, dass dieser Abend so für ihn ausgehen würde, wie er es sich erhoffte. Bei Blue war er sich sehr sicher gewesen. Er hatte ihr Blut gekostet. Sie war nicht von seinem Stamm, hatte die Blutgabe der Organischen Manipulation in sich getragen, nicht die der Psychischen. Aber sie war stark. Und er hätte sie ganz ohne Zweifel zu seiner Quelle machen können. Niemand hätte ihm in dieser Hinsicht Konkurrenz gemacht.
Céleste mochte keine Frauen.
Bei Red allerdings … lagen die Dinge anders.
Céleste hatte bereits von ihm getrunken. Sein Blut hatteauf ihren Gesang geantwortet – mit einer Kraft, die selbst die alte Vampirin überraschte. Ihr Gesicht hatte vor Erregung geglüht, als sie davon berichtete. Und wenn Red auf Céleste reagierte, dann würde er auch Kris antworten. Doch genau dort lag das Problem.
Kris warf einen Blick hinüber zu der Vampirin, die gedankenverloren durch das Fenster hinaus in den Garten sah.
Sie
wollte ihn. Und am Ende war es Céleste, die entschied, was mit Red geschehen würde. Kris hingegen war ihrer Gnade vollkommen ausgeliefert. Ihrer Gnade und ihrer Einsicht, dass er nicht auf Dauer mit einer einzelnen, mangelhaften Blutquelle auskommen konnte.
Kris schloss die Augen und versuchte, sich zu beruhigen. Sie hatte ihm nichts versprochen. Aber sie hatte seine Bitte gehört. Noch hatte er nicht verloren.
In diesem Augenblick wandte Céleste sich um. Ein Lächeln lag auf ihren Lippen.
»Also dann. Bitten wir ihn zu uns.«
Gemeinsam schickten die Vampire ihre körperlosen Stimmen durch die Schatten von Insomniac Mansion. Weit unter ihnen, im ersten Geschoss des Hauses, regte sich ein schläfriger Geist. Horchte auf ihre Rufe.
Kris spürte Reds Schritte in seinem Inneren nachhallen, fühlte das Herz des Jungen aufgeregt schlagen.
Komm zu mir
, flüsterte er lautlos.
Ich warte auf dich.
Doch noch während er die lockenden Gedanken ausschickte, wusste er, dass Red ihn nicht hören würde. Célestes Stimme war so viel stärker als seine.
Als Red das Innere Treppenhaus erreichte, öffnete Kris die Augen. Seine feinen Ohren vernahmen das Knarren von Holz. Sein eigenes Herz begann vor Erregung schneller zuschlagen. Red war nun fast hier. Er konnte seinen Atem in der stillen Luft vibrieren fühlen.
Endlich erschien die schmale, bleiche Gestalt des Jungen auf der Schwelle. Verharrte angstvoll, als wage er nicht, sich noch weiter zu nähern. Der Geruch seines Blutes tränkte die Luft.
Kris fühlte, wie sich Speichel in seinem Mund sammelte. Wahres Blut. Wie lange hatte er keines mehr trinken dürfen. Und dieses – dieses wollte er mehr als jedes andere.
Er hörte kaum hin, als Céleste vortrat, um ihren Gast zu begrüßen. Nur unterbewusst nahm Kris die Schwingungen in ihrer Stimme wahr. O ja. Auch sie wollte ihn. Wollte den Menschen für sich.
Er unterdrückte den Drang, sich nervös über die Lippen zu lecken. Der Duft des Blutes machte ihn schwindelig.
Céleste nahm inzwischen Red bei der Hand und führte ihn zu der Liege unter dem Fenster. Ein verzückter Schleier hatte sich über ihre Iris gesenkt.
»Stark bist du«, flüsterte sie, bevor sie ihre Zähne in die weiße Haut senkte.
Red stöhnte auf, und Kris spürte, wie ein Kribbeln durch seinen Körper jagte, als sein eigenes Blut ebenfalls reagierte. Seine Hände ballten sich zu Fäusten, und er schloss die Augen. Er musste nicht hinsehen, um zu wissen, dass Red unter Hannah und Tony leiden würde. Es war wie damals bei Chase. Ein junger Mensch von seinem Stamm mit ungewöhnlicher Kraft. Perfekt für ihn – und auch für Céleste.
Eine große Hand legte sich auf seine Schulter, und er hob die Lider. Tony stand neben ihm. Reds Blut klebte an seinen Lippen. Schweigend nickte Tony ihm zu.
Céleste hockte noch immer neben Red, streichelte ihn und flüsterte ihm sanfte Worte ins Ohr, die Kris nicht verstehenkonnte. Dann hob sie die Hand und winkte Kris, näher zu treten. Er war an der Reihe. Endlich würde er trinken dürfen. Zum ersten und vielleicht einzigen Mal.
Céleste erhob sich und trat zur Seite, um ihm Platz zu machen. Aus
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