Die Blutgruft
Flemming nicht die einzige veränderte Person gewesen ist.«
Elisa Bancroft schwieg. Aber sie zitterte. Sie konnte meinem Gedankengang folgen. Ich sah, dass sie ein Nicken andeutete und dann schwer aufseufzte.
»Was ist Ihr Problem?«
»Es ist grauenhaft, John.«
»Bitte was?«
Sie schloss für einen Moment die Augen. »Ich... ich allein trage die Schuld daran, dass das alles geschehen ist. Ich hätte mich zusammenreißen sollen, dann wäre es nicht passiert. Aber es ist nun mal geschehen, und ich kann es nicht rückgängig machen.«
»Können Sie nicht genauer werden?«
»Ja, John, das werde ich. Das will und muss ich auch. Die jungen Frauen haben hier gearbeitet. Sie waren alle sehr nett. Ich habe sie gemocht, und sie saßen oft bei mir und wollten die alten Geschichten von früher hören. Es ist ja in der Stadt bekannt, dass ich mich damit beschäftigt habe, und ich war froh, dass ich die jungen Leute für die Historie interessieren konnte.«
»Und dabei haben Sie auch über Rusko und die Blutgruft gesprochen, nicht wahr?«
Sie schloss die Augen, wie jemand, der sich schämt und sein Gegenüber nicht ansehen will. »Ja, so ist es gewesen, John. Leider habe ich das getan. Ich wusste nicht, dass dieser kleine Schneeball eine Lawine auslösen würde. Aber die rollte nun mal und war nicht mehr zu stoppen. Ich habe einen großen Fehler begangen, und Sie sind der erste Mensch, mit dem ich darüber spreche. Für eine Umkehr ist es zu spät, John, für Reue nicht, aber sie bringt nichts mehr. Durch mich ist das Grauen wieder lebendig geworden, und Sie haben es erlebt.«
Ich dachte über ihre Worte nach und wusste nicht, was ich ihr antworten sollte. Trost konnte ich ihr nicht zusprechen, sie würde ihn kaum annehmen. Sie steckte wirklich in einer seelischen Klemme, aus der ich ihr nicht heraushelfen konnte.
Schließlich öffnete sie die Augen. »Ich habe mich gequält. Ich habe mir Vorwürfe gemacht. Ich bin nicht grundlos krank geworden. Es hat mehr mit meiner Seele zu tun als mit meinem Körper. Es kann auch eine Strafe Gottes gewesen sein.«
»Nein, Elisa«, sagte ich und streichelte ihre Hände, die noch immer freilagen. »Ich sage Ihnen, dass es Schicksal gewesen ist, das uns Menschen immer wieder ereilt. Keiner ist davor gefeit. Auch ich nicht. Sie haben es gut gemeint, doch dann sind die Dinge aus dem Ruder gelaufen.«
Elisa zog die Nase hoch. Ihre Augen waren wieder feucht geworden. »Ich hätte nie gedacht, dass die jungen Dinger sich so reinhängen würden. Jetzt ist es passiert. Und wenn ich mich der Polizei offenbart hätte...«, sie lachte, »wer hätte mir geglaubt?«
»Da haben Sie Recht.«
»Niemand, John. Durch mein Hobby gelte ich bei einigen Menschen sowieso als verschroben. Man nimmt mich nicht ernst, und es ist mir auch irgendwie egal. Aber nicht das Schicksal der Verschwundenen.« Jetzt fasste sie meine Hand an. Ich spürte den harten Druck der Finger. »Versuchen Sie alles, John. Versuchen Sie, die Mädchen zu retten. Setzen Sie alles ein. Vielleicht schaffen Sie es. Versprechen Sie mir das?«
»Ja, versprochen.«
»Danke.«
»Wir werden heute noch zu dieser Insel fahren. Ob bei Tageslicht oder in der Dämmerung, das weiß ich nicht genau, aber Lost Island bekommt von uns Besuch.«
»Danke, John.«
Ich winkte ab. »Sagen Sie nichts mehr. Und ich mache Ihnen keine Vorwürfe. Ich möchte nur noch von Ihnen wissen, ob wir dort auch anlegen können. Gibt es so etwas wie einen Hafen auf der Insel?«
»Nein, John. Keinen ausgebauten. Einen natürlichen vielleicht. Das ist alles. Aber Jessica hat es auch geschafft, an Land zu kommen. Ich gehe davon aus, dass die Frauen ein Boot besitzen. Nur wird sie damit nicht mehr zurückgekehrt sein.«
»Wäre gut, wenn die anderen auf der Insel festsitzen würden. Es ist auch nicht auszuschließen, dass sie ein zweites Boot besitzen. Das werden wir alles feststellen.«
»Wer fährt noch mit Ihnen?«
»Wir sind zu dritt.«
»Das ist gut. Dann stehen die Chancen wohl besser.«
»Das glaube ich auch.« Ich drückte mich vom Stuhl hoch und verabschiedete mich von der alten Frau. Ich wünschte ihr alles Gute und vor allen Dingen schnelle Besserung, damit sie wieder auf die Beine kam. Und ich versprach ihr, dass der größte Teil ihrer Aussagen unter uns bleiben würde, abgesehen von meinen Freunden, die ich einweihen musste. Die Bewohner in Burgess würden nichts erfahren.
»Dafür bin ich Ihnen sehr dankbar, John.«
»Wenn alles vorbei ist,
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