Die Blutige Sonne - 14
„man kann einen Eintrag in einem Buch ausradieren, aber zeigen Sie mir einen Menschen, der in einem Elektronengehirn im terranischen Hauptquartier herumpfuschen kann, und dann zeige ich Ihnen die Kreuzung zwischen einem Menschen und einem Crystoped. Unseren Unterlagen nach sind Sie vorgestern zum erstenmal in Ihrem Leben nach Darkover gekommen. Und jetzt belästigen Sie mich nicht mehr; es wäre gescheiter, Sie gingen zu einem Psychotherapeuten.“
Lügen, dachte Kerwin, nichts als Lügen. Man konnte ihm doch nicht erzählen, daß er gar nicht existiere, daß seine Erinnerungen nur Einbildungen seien. Irgendwie, aus irgendeinem Grund logen sie alle.
Auch ein Elektronengehirn?
Ja, verdammt, auch ein Elektronengehirn.
Kerwin griff in die Tasche und zog einen zusammengefalteten Schein heraus. Der Beamte sah beinahe erschrocken auf. Der Ausdruck von Gier und Angst wechselte auf seinem Gesicht. „Na schön, Sir“, sagte er schließlich. „Wenn die Maschine überwacht wird, kostet es mich meine Stellung.“
Diesmal beobachtete Kerwin die Programmierung ganz genau. Die Maschine rülpste langsam, ein rotes Licht glühte auf. Der Beamte erklärte leise: „Stromstörung.“
Dann tauchten aus der Tiefe des kleinen Bildschirmes rote Neonbuchstaben auf und wurden klar sichtbar.
„Die erbetene Information befindet sich in der Geheimablage, für die ein eigener Schaltkreis erforderlich ist.“
Die Buchstaben erschienen und verschwanden; sie waren von fast hypnotischer Eindringlichkeit. Schließlich schüttelte Kerwin den Kopf, winkte ab, und der Bildschirm starrte ihn leer und rätselhaft an.
„Nun?“ meinte der Beamte leise.
„Das beweist wenigstens, daß ich einen Vater hatte“, antwortete er. Nun wußte er endlich bestimmt, daß es ein Geheimnis gab. Er rannte nicht blind, ziellos gegen eine Wand. Vielleicht war das hier sogar die Erklärung dafür, daß im Waisenhaus keine Unterlagen zu finden waren.
Aber wo das Rätsel lag, das wußte Kerwin noch immer nicht. Er wandte sich um und ging hinaus; langsam festigte sich in ihm ein Entschluß. Es hatte ihn nach Darkover gezogen, und nun stieß er hier auf ein noch größeres Geheimnis. Irgendwie, irgendwo würde er die Antwort auf all diese Fragen finden. Vielleicht war er deshalb hierhergekommen.
[4]
In den nächsten paar Tagen schob er den Gedanken daran weit von sich. Er mußte es tun; die neue Arbeit, und war sie noch so einfach und ähnlich der auf seinem letzten Planeten, erforderte seine ganze Aufmerksamkeit. Es war ein außerordentlich spezialisierter Zweig des Nachrichtendienstes und umfaßte Versuche, Ermittlungen und dann und wann auch die Reparatur neu hereingekommenen Geräts, sowohl im Hauptquartier selbst wie auch an einigen Stellen in der terranischen Enklave. Die Arbeit war eigentlich eher zeitraubend und ermüdend als schwierig, und er wunderte sich oft darüber, warum man sich überhaupt die Mühe machte, Personal von Terra oder anderen Planeten zu holen, statt Einheimische zu Technikern auszubilden. Aber als er einem Kollegen die Frage vorlegte, zuckte dieser nur die Achseln.
„Darkovaner nehmen diese Mühe nicht auf sich. Sie haben keinerlei technisches Verständnis und wollen auch von Technik nichts wissen.“ Er zeigte auf die riesige Menge von Maschinen, die sie überprüften.
Kerwin lachte bitter. „Glaubst du, daß das angeboren ist – vielleicht ein Unterschied in der Art der Intelligenz?“
Der andere Mann sah ihn prüfend an, denn er ahnte, daß dies wohl ein wunder Punkt war. „Bist du Darkovaner?“ fragte er. „Aber du bist doch von Terranern erzogen worden, du kennst dich mit Maschinen und technischen Dingen aus. Soviel ich weiß, haben sie nichts, was unserer Technik ähnlich ist, und sie haben auch niemals so etwas gehabt.“ Er sah finster drein. „Sie wollen auch nichts davon wissen.“
Manchmal, wenn er abends im Junggesellenheim des Hauptquartiers auf seinem Bett lag oder einsam bei einem Getränk in einer Bar saß, dachte er darüber nach. Auch der Legat hatte diesen Punkt erwähnt – daß die Darkovaner sich vom Fortschritt der Technik und ihren Reizen nicht beeinflussen ließen und nicht im Strom von Handel und Kultur des Imperiums mitschwammen. Barbaren unter dem Firnis der Zivilisation? Oder etwas, was unter der Oberfläche lag, etwas Geheimnisvolleres?
Manchmal schlenderte er in seiner Freizeit durch die Altstadt, aber er trug niemals wieder den Darkovaner-Mantel und sorgte immer dafür, daß sein rotes
Weitere Kostenlose Bücher