Die Blutige Sonne - 14
interplanetarischen Rakete hing als Wappen über der Tür. Die äußere Halle war leer, aber durch eine offene Tür sah er einige Jungen, die sich eifrig mit einem Globus beschäftigten. Aus dem Innern des Hauses vernahm er die fröhlichen Schreie spielender Kinder; einzelne Worte verstand er nicht, er hörte nur die von den Wänden gedämpften Rufe und Schreie.
In der großen Empfangshalle, die der Schrecken seiner Kindheit gewesen war, wartete Kerwin, bis eine Frau in einem dunklen, nach Darkovaner-Modelosen Kleid, über dem sie eine pelzgefütterte Jacke trug, herauskam und in freundlichem Ton fragte, was sie für ihn tun könne.
Als er ihr sagte, weshalb er gekommen sei, schüttelte sie ihm herzlich die Hand. „Dann waren Sie also einer unserer Buben? Sie müssen aber vor meiner Zeit hiergewesen sein. Wie ist denn Ihr Name?“
„Jeffrey Kerwin junior.“
Mit gerunzelter Stirn dachte sie angestrengt nach. „Vielleicht habe ich den Namen in unseren Unterlagen gesehen. Wann sind Sie denn von hier weggekommen? Mit zwölf Jahren? Das ist aber ungewöhnlich. Die meisten unserer Buben bleiben hier, bis sie achtzehn sind. Dann werden sie getestet, und das Hauptquartier gibt ihnen Arbeit.“
„Ich kam zu meinen Großeltern auf die Erde.“
„Gut; wir haben Unterlagen über alle unsere Kinder. Wenn Ihre Eltern bekannt sind…“ Sie zögerte ein wenig. „Selbstverständlich versuchen wir, möglichst genaue Unterlagen für alle Kinder zu bekommen, aber es ist möglich, daß der Name des einen oder anderen Elternteils nicht eingetragen ist, falls es Ihr Vater vorzog…“
„Sie meinen, falls meine Mutter ein Barmädchen war; das wollten Sie doch sagen, nicht wahr?“
Sie nickte, ein wenig verblüfft über seine offene Sprache. „Würden Sie bitte eine Minute warten?“ Sie verschwand im Büro nebenan. Durch die offene Tür erhaschte Kerwin einen Blick auf Maschinen und ein hübsch zurechtgemachtes Mädchen in Uniform. Nach wenigen Augenblicken kam die Frau wieder zurück, sah ihn verwirrt und ein wenig enttäuscht an. „Ich weiß nicht, von wem Sie sprechen, Mr. Kerwin“, berichtete sie kurz. „Wir haben hier keine Unterlagen von Ihnen. Wir haben noch nie von Ihnen gehört.“
Kerwin starrte sie überrascht an. „Machen Sie keine Witze. Ich habe hier gelebt, bis ich zwölf Jahre alt war.“
Sie schüttelte den Kopf. „Tut mir sehr leid. Wir haben überhaupt keine Unterlagen auf den Namen Kerwin. Haben Sie noch einen Namen geführt?“
„Ich kann mir nicht denken, wie das möglich ist“, antwortete er verwirrt.
„Außerdem haben wir überhaupt nichts vorliegen über einen Jungen, der nach Terra geschickt wurde. Das wäre auch – ziemlich ungewöhnlich.“
Kerwin trat einen Schritt auf sie zu. Er stand wie ein Turm vor der Frau, böse, wütend. „Wollen Sie mich an der Nase herumführen? Ich habe hier gelebt, zwölf Jahre lang! Und man hat mich zur Erde geschickt. Verdammt, das kann ich beweisen!“
Erschrocken wandte sie sich ab. „Bitte…“
„Sehen Sie“, entschuldigte sich Kerwin widerstrebend, „es tut mir leid, ich wollte nicht – , könnte der Name vielleicht falsch eingeordnet, falsch geschrieben sein, oder hat man die Unterlagen verlegt?“
„Vielleicht waren Sie unter einem anderen Namen hier eingetragen?“
„Nein, verdammt noch mal!“ schrie Kerwin. „Man nannte mich Kerwin, und in der Schulstube nebenan habe ich meinen Namen schreiben gelernt.“
„Es tut mir leid, wir haben aber keine Unterlagen auf den Namen Kerwin“, antwortete sie kühl. „Wenn Sie wünschen…“ Sie bat ihn, Ihr zu folgen. „Wenn es Sie überzeugt“, fuhr sie fort, „hier, bitte.“
Sie nahm seine Fingerabdrücke ab und schob die Karte in die Maschine. Er beobachtete die große, stählerne Fassade des Gerätes, das Abtasten, Wählen in den Depots des Elektronengehirns; Fingerabdrücke ändern sich nicht. Irgendwo im Innern der Maschine mußten die Unterlagen eines Kindes Jeff Kerwin zu finden sein, des Jungen, den seine Klassenkameraden den „Tallo“, Rotschopf, genannt hatten.
Die Elektronenrechner bringen die Ergebnisse in Bruchteilen von Sekunden heraus; es gibt kein Summen, kein Klicken, das der Laie immer von diesen riesigen Maschinen erwartet. Mit außerordentlicher Schnelligkeit spuckte die Maschine eine Karte aus. Kerwin bückte sich und nahm sie weg, bevor die Frau sie ihm noch reichen konnte, aber als er sie umdrehte, schwand seine Überzeugung, daß sie lügen müsse, und
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