Die Blutige Sonne - 14
starrte sie an. Der Hals schmerzte ihn noch immer, eine wütende Hysterie schien ihn zu packen.
Alle diese Türen bleiben vor mir verschlossen, dachte er.
Er verspürte ein fast schmerzendes Mitleid mit der Toten. Er hatte sie dazu gedrängt – und nun war sie tot. Diese unbekannte, gar nicht hübsche Frau – kaum kannte er ihren Namen. Er hatte sie in die geheimnisvolle Bahn seines verfahrenen Schicksals gezwungen. Er beugte sich nieder und fühlte ihr den Puls. Vielleicht war sie doch nur ohnmächtig, vielleicht sollte er ihr Gesicht mit Wasser besprengen oder…
Nein, sie war tot. Daran war nicht zu rütteln.
Behutsam nahm Kerwin seinen eigenen Matrix an der langen Kette und schob ihn in die Tasche. Er zögerte, warf einen Blick auf den anderen Kristall; etwas daran fesselte seine Aufmerksamkeit.
Das Licht war aus dem blauen Stein entschwunden. Leblos, tot lag er in dem Weidenrahmen, glanzlos, undurchsichtig.
War der Kristall im gleichen Augenblick gestorben wie die Frau? Oder hatte eine geheimnisvolle Kraft ihn zerstört? Wieso kam er überhaupt auf diesen Gedanken?
Jeff Kerwin riß sich zusammen. Noch einmal, fast um Entschuldigung bittend, sah er die tote Frau an, wandte sich um und rief die Polizei.
Die Beamten kamen, Darkovaner in grünen Uniformen mit üben der Brust gekreuzten Riemen; sie waren von der Stadtpolizei, die es in allen Städten Darkovers gab. Es war ihnen unangenehm, einen Terraner dort zu finden, und sie zeigten es auch. Widerstrebend und voll eisiger Höflichkeit gewährten sie ihm das Vorrecht, vor seiner Vernehmung den terranischen Konsul zu Rate zu ziehen, ein Vorrecht, auf das Kerwin schnell verzichtete, denn es wäre ihm sehr unangenehm, wenn das Hauptquartier von seinen Nachforschungen hier gehört hätte.
Sie stellten ihm Fragen, und die Antworten behagten ihnen absolut nicht. Irgendwie gelang es ihm, seinen eigenen Matrix nicht zu erwähnen noch überhaupt davon zu sprechen, weshalb er die Frau aufgesucht hatte, obwohl er überzeugt war, daß die Beamten sich ihre eigenen Gedanken darüber machten. Schließlich fanden aber weder der terranische noch der Darkovaner Arzt irgendwelche Verletzungen an der Toten, und sie stellten unabhängig voneinander fest, daß sie einem plötzlichen Herzanfall erlegen war. Man entließ ihn, begleitete ihn der Form halber zur Grenze der Terra-Zone und sagte ihm auf Wiedersehen mit einer grimmigen Entschiedenheit, die nur mühsam von Höflichkeit überdeckt war. Er hatte den Eindruck, daß sie keine Verantwortung übernähmen für das, was geschehen würde, wenn er sich wieder in jenem Stadtteil zeigte.
So war das also. Er hatte eine dünne Spur verfolgt, die in eine Sackgasse mündete, und dann hatte man ihm eine Tür vor der Nase zugeschlagen. Am schlimmsten war, daß diese Sackgasse zu einer toten Frau geführt hatte. Immer wieder überdachte er die Geschehnisse, als er in seinem Quartier wie ein gefangenes Tier im Käfig herumrannte und versuchte, einen Sinn in dieser rätselhaften Wirrnis zu finden.
Dahinter stand doch eine bestimmte Absicht. Irgend jemand, irgend etwas war dazu bestimmt, ihn daran zu hindern, die Spur seiner Vergangenheit zu entdecken, und er oder es würde vor nichts, nicht einmal vor einem Mord zurückschrecken, um dieses Ziel zu erreichen.
Der Mann und die Frau, die sich geweigert hatten, ihm zu helfen, hatten gesagt: „Es ist nicht gut, sich in die Angelegenheiten der vai leroni zu mischen.“ Diese Worte waren ihm unbekannt; er versuchte, sie in ihre einzelnen Bestandteile zu zerlegen und sah endlich in einem Wörterbuch nach. „Vai“ war irgendein Ehrentitel; „vai dom“ hieß „Hoher Herr“. „Leroni“ fand er unter „leronis“ (Dialekt der Bergvölker) mit der Erklärung: „Möglicherweise abgeleitet von , laran ’, das etwa die Bedeutung von Macht oder ererbten Rechten hat; vielleicht auch ,Zauberin’.“ Er runzelte die Brauen. Eine „vai leroni“ wäre dann also eine Frau, die über außerordentliche Fähigkeiten verfügt, vielleicht mit einer besonderen Würde verbunden. Aber weshalb sollte er mit den Angelegenheiten der vai leroni verknüpft sein, ganz gleich, wer oder was sie sein mochten?
Vergebens versuchte er immer wieder, in dieses Rätsel einzudringen, und selbst als er daran arbeitete, den Fehler in einer Leitung zu beheben, beschäftigte sich sein Geist unausgesetzt mit diesen Fragen.
Seine erste Nacht auf Darkover. Die drei fremden Rotschöpfe im Sky-Harbor-Hotel und das
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