Die Blutige Sonne - 14
anders als alles, dessen er sich erinnerte. Er hob die Augen, selbst überrascht von der Schaustellung seiner Gefühle; aber in den Augen der anderen sah er nichts als Verständnis und Freundlichkeit.
Kennards ernstes Gesicht war noch faltiger als sonst. „Tani ist Spezialistin in Empathie. Das wäre also erledigt; für einen Mann ist ja diese Fähigkeit recht ungewöhnlich, und ich habe damit nicht gerechnet. Rückartung, denke ich. Du hast drei oder vier Generationen Ridenowblut.“
„Wie einsam du gewesen sein mußt“, sagte Taniquel weich. Dein ganzes Leben lang, dachte er, hast du zu niemandem gehört. Aber jetzt gehörst du hierher.
„Es ist mir entsetzlich unangenehm, diese rührende Szene zu unterbrechen“, begann Auster. Taniquel löste sich mit einem resignierten Achselzucken aus Kerwins Arm, hielt aber noch seine Hand. Auster sprach weiter, aber er fiel in seinen unverständlichen Dialekt zurück. Er kam zu Kerwin, der den Kopf schüttelte. „Tut mir leid“, sagte er auf Cahuenga, „ich verstehe dich nicht.“
Auster wandte sich achselzuckend an Kennard.
„Verstehst du ihn denn überhaupt nicht?“ fragte dieser.
„Nein, es ist verdammt komisch, denn ich verstehe dich und Taniquel recht gut.“
„Du hast doch fast alles verstanden, was ich sagte“, warf Rannirl ein, „oder nicht?“
„Alles, nur dann und wann ein Wort nicht.“
„Jeff, antworte mir schnell, ohne zu überlegen – welche Sprache spreche ich?“
Kerwin wollte schon sagen: „Thendaradialekt“, schwieg aber dann verwirrt. Kennard nickte. „Das ist richtig“, bestätigte er. „Das fiel mir sofort an dir auf. Ich habe heute in vier verschiedenen Sprachen mit dir gesprochen, Rannirl in einer fünften, und du hast alles verstanden, ohne darüber nachzudenken. Aber was Auster sagt, das verstehst du nur zur Hälfte, es sei denn, er spricht Cahuenga. Du bist ein Telepath, das stimmt. Warst du nicht schon immer sehr gut in Sprachen?“ Er nickte, ohne auf Kerwins Antwort zu warten. „Das dachte ich mir. Du nimmst den Gedanken auf und wartest nicht auf die Worte. Aber du und Auster – ihr beide liegt nicht auf der gleichen Welle.“
„Das kommt mit der Zeit“, meinte Elorie, „sobald sie einander besser verstehen. Aber wir wissen bereits, daß er eine gewisse außersinnliche Empfangsbereitschaft hat, sonst wäre er nicht hier. Was sonst noch?“
„Du bist der Techniker“, wandte sich Kennard an Rannirl. „Kannst du mir deinen Matrix zeigen?“ fragte Rannirl.
Kerwin nahm den Kristall aus der Tasche und reichte ihn Rannirl. Als ihn dieser aber mit den Fingern berührte, fühlte Kerwin ein vages, peinigendes Unbehagen. Automatisch streckte er die Hand aus und nahm ihn, beinahe grob, Rannirl weg. Das Unbehagen schwand sofort. Erstaunt starrte er auf seine Hände.
Rannirl nickte. „Das dachte ich mir. Es ist ihm gelungen, sich selbst, grob ausgedrückt, hineinzuverschlüsseln.“
„Das ist früher noch nie geschehen!“ stellte Kennard fest.
„Vielleicht ist es passiert, als wir ihn hierher geleitet haben“, warf Elorie ein und streckte ihr schmale Hand aus. „Darf ich es versuchen, Jeff?“
Er reichte Elorie den Kristall; die zarte Hand schien seine bloßen Nerven zu berühren, aber er verspürte keinen Schmerz. „Ich bin Wärterin und kann mich fast mit jedem verschlüsseln. Tani?“
Als Taniquel den Kristall in die Hand nahm, schwand das Unbehagen völlig. Sie lächelte und legte den Arm um Kerwins Taille. „Jeff und ich sind noch im Kontakt miteinander. Das ist kein fairer Test. Ich werde es später versuchen. Corus?“ Sie gab den Kristall weiter. Kerwin zuckte zurück, als er am ganzen Körper ein hartes Prickeln verspürte; Corus zitterte, als habe ein Schmerz ihn befallen, und gab den Kristall schnell an Kennard weiter. Dessen Berührung war nicht gerade schmerzhaft, aber Kerwin war sich ihrer unangenehm bewußt. Kennard gab ihn an Auster weiter.
Auster rang nach Luft und ließ den Kristall fallen, als sei er eine glühende Kohle. Kerwin zuckte zusammen und fühlte, wie Taniquel zitterte; er spürte einen bohrenden Schmerz. Taniquel hob den Kristall auf; der Schmerz ließ nach, und Kerwin atmete erleichtert auf. Auster zitterte heftig, er war totenblaß.
„Bei Zandru“, flüsterte er, und der Blick, den er Kerwin zuwarf, drückte mehr Angst als Bosheit aus. „Kerwin, ich schwöre, ich habe das nicht absichtlich getan.“
„Er weiß, er weiß“, begütigte Taniquel; sie ließ Kerwins Hand
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