Die Blutige Sonne - 14
häßliche Beule erspart.“ Nachdenklich befühlte er seine verletzte Wange. „Wer hat denn das verdammte Ding geworfen?“ Hätte er nur den einheimischen Dialekt besser gesprochen; jemand hatte ein Wort gerufen, das er nicht verstanden hatte.
„Irgendein Unzufriedener“, meinte Auster, und seine Augen waren unruhig. „Kerwin, tu mir einen Gefallen.“
„Daraufhin schulde ich dir einen, glaube ich.“
„Sage den Frauen nichts davon, auch Kennard nicht. Wir haben jetzt genug andere Sorgen.“
Kerwin nickte. Schweigend gingen sie Seite an Seite zum Turm weiter. Kerwin hatte auch keine Lust zu sprechen, denn er hatte an zwei Dingen zu kauen: Auster, der ihn nicht mochte, hatte ihn automatisch vor dem Stein beschützt, den jemand nach ihm geworfen hatte. Es gab jemanden auf Darkover, der nicht die allgemeine Anschauung teilte, daß die Com’yn unverletzlich und unantastbar seien. Plötzlich wünschte er, das Versprechen, den Vorfall nicht zu erwähnen, nicht gegeben zu haben; er hätte gern mit Kennard darüber gesprochen.
Er traf Kennard am gleichen Nachmittag; um selbst nicht dazu verführt zu werden, über den geworfenen Stein zu sprechen, erzählte er von dem Ladenbesitzer und den Schuhen. Als er erwähnte, daß diese Darkovaner Sitte ihm einiges Unbehagen bereitet hatte, lachte Kennard schallend. „Mein lieber Junge, du hast dem Mann für die nächsten paar Jahre kostenlose Werbung verschafft. Schon die Tatsache, daß ein Com’yn, wenn auch keiner von den hohen, allein in seinen Laden kam und mit ihm handelte…“
„Dieses Getue“, bemerkte Kerwin ärgerlich, und keineswegs amüsiert.
„Es ist aber recht verständlich. Wir widmen dem Volk einen guten Teil unseres Lebens; wir haben ein Talent, das man nicht imitieren kann. Sie würden keine Entschuldigung gelten lassen, wollten wir etwas anderes tun. Wenn wir also etwas wollen, dann wird es uns gegeben. Auf diese Art gäbe es für uns keine Entschuldigung, wollten wir die Matrixkristalle in der Erde lassen und anders mehr Geld verdienen. Und billig genug sind die Schuhe außerdem“, fügte er hinzu. „Das spricht nicht für ihn.“
Nun mußte Kerwin lachen. „Jetzt wundere ich mich nicht mehr, daß er mit allen Mitteln versucht hat, mich zu besseren Schuhen zu überreden!“
„In allem Ernst: Du würdest den Mann nur glücklich machen, wenn du zurückkehren und das beste Paar aus seinem Laden verlangen würdest; oder noch besser: Gib ihm gleich ein Paar Maßschuhe ganz nach deinen Wünschen in Auftrag.“ Kennard lachte herzlich.
Langsam begann sich in Kerwins Geist ein Bild zu formen; er verstand zwar noch immer nicht, was die Com’yn nun wirklich taten, das von solcher Wichtigkeit war. Und wenn sie noch soviel redeten – die Tricks mit Kristallen und Gläsern schienen ihm nicht der Bedeutung zu entsprechen, die den Com’yn im Volk der Darkovaner zugemessen wurde.
Und noch etwas anderes paßte nicht ganz: der auf zwei Com’yn geworfene Stein – nicht ziellos aus einer Menge heraus, sondern absichtlich, am hellen Tag; ein Stein, groß genug, einen Menschen schwer zu verletzen oder gar zu töten. Er erwähnte den Vorfall trotzdem nicht – aber er paßte nicht ins Bild.
Zehn Tage später erhielt er die Antwort auf die erste seiner Fragen.
Kerwin übte sich unter Aufsicht und Anleitung Rannirls in einem der Isolierräume in einfachen Techniken der Kraftausstrahlung, ähnlich dem Trick mit dem geschmolzenen Glas, den Ragan ihm gezeigt hatte. Sie hatten bereits länger als eine Stunde gearbeitet, und Kerwins Kopf begann zu schmerzen, als Rannirl plötzlich sagte: „Genug für heute. Es ist irgend etwas los.“
Sie traten auf den Treppenabsatz in dem Augenblick, als Taniquel die Treppe heraufgestürzt kam. Fast wäre sie mit ihnen zusammengestoßen. Rannirl fing sie auf.
„Paß auf, chiya! Was ist denn los?“
„Ich weiß auch nicht“, antwortete sie, „aber Corus arbeitete am Relaisnetz und sagte mir, daß er eine Nachricht aus Thendara habe, Hastur kommt nach Arilinn.“
„So bald schon“, flüsterte Rannirl. „Ich habe gehofft, wir hätten mehr Zeit.“
„Hat es etwas mit mir zu tun?“ fragte Kerwin, als Kennard zu ihnen trat.
„Ich weiß nicht. Vielleicht. Hastur gab die Genehmigung, dich hierherzubringen – obwohl wir selbst die Verantwortung dafür übernahmen.“
„Glaubst du…“ Plötzliche Angst lähmte seine Gedanken. War man ihm auf die Spur gekommen? Die Stadtverwaltung von Thendara hatte seine
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