Die Blutige Sonne - 14
Lauf des Abends saß Kennard neben ihm. Gefühlsmäßig erfaßte er die Stimmung des Mannes. „Du scheinst sehr froh darüber zu sein; Auster nicht. Weshalb?“
„Weshalb Auster nicht darüber froh ist, ich aber doch?“ fragte Kennard, verschmitzt lächelnd. „Was meinst du mit deiner Frage?“
„Beides.“
„Weil du ein halber Terraner bist“, antwortete Kennard. „Auster – oder du?“
„Beide“, antwortete nun auch Kennard ein wenig düster. „Wenn du zum Arbeitskreis des Turmes gehörst, gibt es eine gewisse Chance, daß der Rat auch meine Söhne akzeptiert. Siehst du, ich tat das gleiche wie Cleindori. Ich heiratete ein Mädchen von der Erde – und ich habe zwei Söhne; das gibt einen Präzedenzfall. Über diese Aussicht ist Auster nicht sehr glücklich.“
Kerwin hätte noch so vieles zu fragen gehabt, aber er spürte, daß die Zeit dafür noch nicht reif war. Es schien auch gar nicht so wichtig zu sein. Er gehörte hierher.
[7]
Die Tage verstrichen in Arilinn, und Kerwin fühlte sich bald so zu Hause, als habe er sein ganzes Leben dort verbracht. Und doch war er wie in einem zauberischen Traum gefangen: Als ob seine alten Wunschträume jetzt zum Leben erwacht seien, trat er mitten unter sie, und eine Wand schloß sich hinter ihm. Auf keiner Welt hatte er sich bisher so daheim gefühlt, nirgends hatte er so sehr Wurzeln geschlagen, wie hier. Er war nicht an dieses Glück gewöhnt; er war so glücklich, daß er sich beinahe unbehaglich fühlte.
Er vergaß die Zeit, aber er mußte etwa drei Wochen in Arilinn verbracht haben, als ihm zum Bewußtsein kam, daß er noch gar nichts von der Stadt gesehen hatte. Eines Morgens fragte er Kennard
- er war sich seiner Stellung noch nicht recht bewußt – , ob er in die Stadt gehen könne, um sie kennenzulernen. „Weshalb nicht?“ meinte Kennard und lachte herzlich. „Bei Zandru, mein Junge, du brauchst meine Erlaubnis nicht für Dinge, die dir Freude machen. Geh nur allein; ich kann aber auch mitkommen und dir die Stadt zeigen. Du kannst auch einen der kyrri mitnehmen, damit du dich nicht verläufst. Tu, was dir gefällt.“
Auster saß am Kamin in der großen Halle und wandte sich um. „Aber mach uns nicht die Schande, in diesem Zeug zu gehen“, bemerkte er säuerlich.
Wenn Auster etwas sagte, war Kerwin immer versucht, genau das Gegenteil zu tun. „Man würde sich nach dir umdrehen“, erklärte Rannirl achselzuckend.
„Man wird sich auf alle Fälle nach ihm umdrehen“, stellte Mesyr fest.
„Trotzdem. Mesyr, suche doch etwas aus meinen Sachen aus, wir haben ungefähr die gleiche Größe – als Augenblickslösung.“
Kerwin kam sich ein wenig lächerlich vor, als er die kurze, spitzenbesetzte Jacke, die Bluse mit den langen, losen Ärmeln und die engen Darkovaner Kniehosen anzog. Rannirl hatte außerdem einen ganz anderen Farbensinn als er. Wenn er schon Darkovaner Kleidung tragen mußte – er gab selbst zu, daß er in seinen Erdenkleidern ziemlich verrückt aussehen mußte – , dann wollte er sich schon etwas weniger bunt anziehen. Wenn er seine eigene Kleidung hatte, dann mußte er nicht in grünem und purpurnem Zeug herumlaufen! Das hoffte er wenigstens.
Er war aber doch überrascht, als er in den Spiegel sah und entdeckte, wie diese auffallende Kleidung ihm stand; sie unterstrich, oder besser: sie zeigte erst die Vorzüge seiner Größe und Farben, die ihm in der terranischen Kleidung immer so nachteilig erschienen waren. Mesyr erklärte ihm, er dürfe keine Kopfbedeckung tragen; die Com’yn, ganz gleich, ob Männer oder Frauen, trügen ihr rotes Haar voll Stolz, und es schütze sie vor zufälligen Beleidigungen oder Ungerechtigkeiten. Kerwin gab zu, daß dies sogar vernünftig erschien, denn Darkover war eine etwas gewalttätige Welt, wo man gern hohe Intelligenz durch Aufruhr zu beweisen pflegte.
Er ging allein; bald merkte er, daß man hinter ihm her sah und flüsterte, aber niemand rempelte ihn an. Es war eine fremde Stadt; er kannte nur Thendara, wo die Terraner schon seit vielen Jahren lebten. Die Fußbekleidung der Terraner paßte nicht zur Kleidung von Darkover, und als er an einem Laden vorbeikam, vor dem auf der Straße Stiefel ausgestellt waren, ging er hinein und ließ sich einige Paare vorlegen.
Der Besitzer bemühte sich so respektvoll und mit einer gewissen Scheu um ihn, daß Kerwin schon überlegte, ob er sich vielleicht unpassend benommen habe – anscheinend betrat ein Com’yn selten einen Laden – , bis der
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