Die Blutige Sonne - 14
bewußt, streckte sich und sah auf den hellen Sonnenstreifen, der durchs Fenster fiel. Vierzehn Stunden lang hatten sie den Kontakt aufrechterhalten, vierzehn Stunden lang mit dem Matrix ununterbrochen gearbeitet!
Rannirl faltete sorgfältig die Landkarte zusammen. „In einigen Tagen werden wir einen neuen Versuch mit Zinn, Eisen und Aluminium machen. Es wird dann viel leichter sein.“ Er furchte die Stirn und sah an Kerwin vorbei. „Auster, was ist los mit dir?“
Auster hielt seine Augen starr, mit einem Ausdruck unergründlicher Bosheit auf Kerwin geheftet.
Er ist nicht glücklich darüber, daß ich es geschafft habe, dachte Kerwin. Er wünschte mir, daß ich versage. Aber weshalb?
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Die Depressionen hielten noch einige Zeit an, selbst nachdem er die schlimmste Erschöpfung überwunden hatte. Als er sich um die Zeit des Sonnenuntergangs bereitmachte, mit den anderen zusammenzutreffen, war er entschlossen, sich die Gesellschaft nicht durch Austers Bosheit verderben zu lassen. Er hatte den schlimmsten Test, die Kontaktarbeit, bestanden, und das war sein Triumph. Schließlich hatte Auster ihn noch nie gemocht; mehr steckte vielleicht gar nicht dahinter.
Die erste Sitzung war nun also vorüber, und in der Zeit bis zur nächsten konnten sie sich etwas von den Anstrengungen erholen. Leichten Herzens schritt er die Treppe hinab. Er würde wieder Zeit haben für Taniquel…
Die anderen waren vor ihm erwacht und hatten sich schon in der Halle versammelt. Die Beiläufigkeit ihres Grußes wärmte sein Herz mit dem Gefühl der Zugehörigkeit; man reichte ihm ein Glas shallan; er hatte das süße, leicht alkoholische Getränk schätzen gelernt. Er ließ sich auf seinem gewohnten Sitz nieder, sah sich nach Taniquel um; sie stand neben Auster am Kamin; beide waren in eine Unterhaltung vertieft. Besorgt versuchte Kerwin, ihren Blick zu erhaschen, und das gelang ihm endlich auch. Mit einer fast unmerklichen Kopfbewegung, deren Bedeutung sie recht gut kannte, forderte er sie auf, zu ihm zu kommen, und er nahm an, daß sie sich mit einer leicht hingeworfenen Entschuldigung von Auster losmachen würde.
Aber sie blinzelte ihm nur lächelnd zu und schüttelte den Kopf. Von dieser Zurückweisung überrascht, beobachtete er sie. Sie standen Hand in Hand, steckten die Köpfe zusammen und schienen sehr miteinander in Anspruch genommen zu sein. Seine Verwirrung war mit Staunen gemischt. Noch nie war ihm das Mädchen so begehrenswert erschienen wie gerade jetzt, da ihr Lächeln, halb zärtlich, halb schelmisch, eindeutig Auster galt. Seine Verwirrung wurde zu Bestürzung, zu Groll. Wie konnte sie ihm das nur antun? War sie wirklich so herzlos?
Je weiter der Abend fortschritt, desto mutloser wurde er. Umsonst bemühten sich Kennard und Rannirl, ihn in eine Unterhaltung zu ziehen. In der Annahme, er sei noch immer sehr erschöpft, ließen sie ihn schließlich in Ruhe. Corus und Elorie spielten mit Kristallwürfeln; Mesyr war mit einer Handarbeit beschäftigt; es schien ein richtiger Familienabend zu sein – nur Kerwin war davon ausgeschlossen. Taniquels Kopf an Austers Schulter schmerzte ihn wie ein Messerstich. Rannirl studierte Landkarten, Kennard döste vor sich hin. Immer wieder sagte sich Kerwin vor, er sei ein Narr, hier zu sitzen und die beiden zu beobachten, aufgewühlt von Bestürzung und rachsüchtigem Zorn. Weshalb nur?
Auster füllte ihre Gläser; im selben Augenblick erhob sich Kerwin. Kennard sah auf, plötzlich hellwach, als Kerwin den Raum durchquerte und Taniquels Arm ergriff. „Komm mit“, befahl er scharf; sie sah ihn erstaunt und ablehnend an, warf einen Blick in die Runde und schlug vor: „Gehen wir hinaus auf die Terrasse.“
Die Sonne war längst untergegangen, und der Nebel hatte sich zu feinem Regen verdichtet. Taniquel legte die Hände an die Wangen. „Es ist angenehm kühl hier“, sagte sie. „Jeff, was hast du? Weshalb hast du mich die ganze Zeit so angestarrt?“
„Weißt du’s denn nicht?“ fauchte er sie an. „Hast du denn überhaupt kein Herz?“
„Du bist eifersüchtig?“ Sie schüttelte verständnislos den Kopf.
Jeff zog sie an sich. Sie seufzte, lächelte und küßte ihn. „Ich hätte es wissen müssen, daß du nur einen bösen Scherz mit mir treibst“, flüsterte er heiser und hielt sie an den Ellenbogen fest. „Aber ich konnte es einfach nicht ertragen, dich mit eigenen Augen so mit Auster zu sehen.“ Er seufzte tief; es klang ein wenig böse, aber auch erleichtert. Sie
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