Die Blutige Sonne - 14
gestaunt, daß ein so zartes, zierliches Mädchen so ungeheure Mengen an Nahrung zu sich nehmen konnte, aber nun bemerkte er selbst, daß er ständig hungrig war. Sein von der verausgabten Energie ausgelaugter Körper verlangte gierig Ersatz. Manchmal, wenn die Tagesarbeit getan war oder wenn Elorie vor Erschöpfung nicht mehr arbeiten konnte, oder wenn Taniquel ein wenig Zeit für ihn hatte, war es sein einziger Wunsch, sich hinzulegen und auszuruhen.
„Ich bin kein sehr zärtlicher Liebhaber, fürchte ich“, entschuldigte er sich bei Taniquel, als er einmal vor Kummer halb krank war, denn ihn verlangte in seiner Erschöpfung nur nach Schlaf. Taniquel lachte leise und beugte sich zu ihm nieder, um ihn zu küssen.
„Ich weiß“, flüsterte sie, „ich habe ja Zeit meines Lebens mit Matrixmechanikern zu tun. Wenn die Schirme im Aufbau sind, dann ist es immer so. Die ganze Energie wird dafür verbraucht, und man kann es sich einfach nicht leisten, sie zu verschwenden. Mach dir keine Gedanken deswegen. Wenn alles vorüber ist, werden wir genug Zeit füreinander haben – wenn du mich dann noch willst.“
„Wenn ich dich dann noch will?“ Kerwin schoß in die Höhe und starrte das Mädchen entgeistert an. Taniquel hatte die Augen geschlossen; ihr Koboldgesicht, blaß unter dem zerzausten Haar, sah plötzlich fremd und entrückt aus. „Was meinst du damit, Tani?“
„Ach, die Menschen ändern sich“, meinte sie vage. „Kümmere dich jetzt nicht darum.“ Sie drückte ihn zärtlich zurück aufs Bett, ihre sanften Hände strichen behutsam über seine Stirn, „Schlaf jetzt, Liebling, du bist ganz erschöpft.“
Trotz seiner Müdigkeit ließen diese Worte ihn schla flos darüber nachgrübeln. Wie konnte Taniquel nur zweifeln? Oder hatte sie eine Vorahnung? Seit sie sich liebten, war er glücklich gewesen. Jetzt verspürte er plötzlich eine Unruhe. Vor seinem geistigen Auge sah er ein Bild: Taniquel, Hand in Hand mit Auster. Eifersucht zog ihm das Herz zusammen. Was war zwischen ihnen? Er wußte, daß Taniquel ihn gern hatte. Auf eine Art, die ihm früher unbekannt war, fühlte er sich mit ihr eins. Seine gelegentlichen Erlebnisse mit Frauen waren niemals sehr tief gegangen. Die unerkannte telepathische Kraft in ihm hatte die abgrundtiefe Leere jener Frauen sofort erfaßt. Ohne zu wissen weshalb, hatte er sich für einen unrettbaren Idealisten gehalten. Er konnte nicht wie andere Männer seine Augen vor dem Vorwand der günstigen Gelegenheit verschließen und seine eigenen Träume genießen, die er in ein Mädchen hineingedacht hatte. Die Verbindung mit Taniquel hatte ihm eine ganz andere Welt zu Bewußtsein gebracht, eine Welt von geteilter Leidenschaft, geteilten Gefühlen. Konnte sie ihn wirklich so sehr lieben, wenn sie je mit einem anderen Menschen auf die gleiche Weise verbunden war?
Er lag lange wach; Unruhe quälte ihn, und sein Kopf schmerzte. Natürlich, jetzt war es ihm klar. Jeder im Turm von Arilinn wußte, daß er und Taniquel ineinander verliebt waren. Kennards Lächeln, ein bedeutungsvoller Blick Mesyrs, Corus’ Neckereien – all dies nahm neue Bedeutungen an.
Verdammt, dachte er, eine Gesellschaft von Telepathen hat auch Nachteile und läßt kein Privatleben zu!
Der Gedanke überwältigte ihn plötzlich. Alle waren Telepathen, alle kannten seine Gedanken, seine Gefühle, wußten, was er mit Taniquel geteilt hatte! Eine ungeheure Woge von Verlegenheit überspülte ihn, als träume er, er gehe nackt über einen Platz und finde beim Erwachen, daß der Traum Wahrheit sei.
Taniquel, die noch immer seine Hand hielt, zuckte plötzlich zurück, als habe ein glühender Draht sie getroffen. Empörung flammte in ihrem Gesicht auf.
„Du – du bist ein Barbar!“ fauchte sie ihn an. „Du – Terraner!“ Sie lief davon, ihre Schritte verhallten in ärgerlichem Rhythmus, und Kerwin lag bis zum Morgengrauen wach, von ihrem plötzlichen Wutausbruch verwirrt.
Beim nächsten Zusammentreffen war sie wieder so reizend und liebevoll wie je zuvor und begrüßte ihn mit einer spontanen Umarmung. „Verzeih mir, Jeff; das war unfair von mir“, bat sie. „Ich hätte dir nicht vorwerfen dürfen, daß du lange unter den Terranern gelebt hast. Wir werden uns bald besser verstehen lernen.“ Und als sie die Arme um ihn gelegt hatte, konnte er nicht mehr an der Aufrichtigkeit ihrer Gefühle zweifeln.
Dreizehn Tage nach Hasturs Besuch waren die Matrixkristalle vorbereitet, und Elorie verkündete ihm, daß am
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