Die blutige Sonne
ebenso wenig wie Leonie noch gegen Damon vorging, nachdem er sich in jenem Duell das Recht auf den Verbotenen Turm errungen hatte. Aber ich habe Angst vor den Fanatikern, den Konservativen, nach deren Meinung alles, einschließlich Arilinn und Hali, so bleiben soll, wie es zu Zeiten unserer Großväter war. Ich kann nicht nach Terra gehen, solange mein Kind nicht geboren ist, und die Jungen sind für eine Sternenreise noch zu klein. Doch ich finde, du solltest gehen, Cleindori. Laß dein Kind in der Obhut der Terraner und geh. Ich werde den Rat um Schutz bitten, und ich bin sicher, daß man mich in Neskaya aufnehmen wird.«
»Oh, Evanda und Avarra mögen dich schützen.« Verzweifelt sah Cleindori ihre Halbschwester an. »Ich bringe dich in Gefahr, indem ich hierbleibe! Du bist keine Bewahrerin, Cassie, und du kannst gehen, wohin du willst, und leben, wie du willst. Ich bin es, die als Abtrünnige zum Tode verurteilt ist, von dem Augenblick an, als ich vor sie hintrat und erklärte, daß ich sie alle zum Narren gehalten hatte, daß Lewis und ich uns seit mehr als einem Jahr liebten, und doch hatte ich weiter in ihrem kostbaren Arilinn als Bewahrerin gearbeitet. Lewis …« Ihre Stimme brach. »Ich liebte ihn … und er mußte meiner Liebe wegen sterben! Kennard sollte mich dafür hassen. Und doch kämpft er für mich im Rat …«
Jeff meinte zynisch: »Der Tod von Lewis Lanart-Alton hat Kennard zum Erben von Alton gemacht, Cleindori.«
»Und trotzdem wünschst du, daß ich von Lord Hastur, der mich mit abscheulichen Schimpfnamen belegt hat, den Schutz des Rates erbitte? Doch ich will es tun, wenn ihr alle es wollt. Jeff? Cassie? Arnad?«
Der große Mann in dem grün-goldenen Mantel trat hinter Cleindori und legte lachend die Arme um sie. »Wenn einer von uns solche Gedanken hätte, würde er sich schämen, sie vor dir zu zeigen, Goldene Glocke! Aber ich finde, wir müssen realistisch sein.«
»Glaubt mir«, sagte der Terraner, »ich würde sie am liebsten alle mit Verachtung strafen, wenigstens so lange, bis der Rat seine Entscheidung gefällt hat. Aber ich glaube doch, Cassilde sollte nach Neskaya gehen oder zumindest in die Comyn -Burg, bis ihr Kind geboren ist. Dort kann kein Meuchelmörder an sie herankommen. Der Rat mag ihr Verhalten mißbilligen, aber er wird ihr Schutz für Leib und Leben gewähren. Über sie ist kein Todesurteil verhängt worden.«
»Es spricht nur gegen mich«, sagte Cassilde, »daß ich den verabscheuten Terranern Kinder geboren habe.« Ihr Mund zuckte.
Arnad stellte fest: »Du bist nicht die erste, und du wirst auch nicht die letzte sein. Es hat immer wieder Mischehen gegeben. Ich glaube, das kümmert niemanden, ausgenommen die Fanatiker. Und du, Cleindori, mußt gehen. Laß dein Kind bei den Terranern, die es schützen werden. Selbst in der Comyn -Burg mag das Kind einer meineidigen Bewahrerin vor dem Messer eines Mörders nicht sicher sein, wohl aber bei den Terranern.«
Cleindoris Mund verzog sich zu einem traurigen Lächeln. »Und aus welchem Grund sollten die Terraner dem Kind einer abtrünnigen Bewahrerin und dem verstorbenen Erben von Alton Zuflucht gewähren? Was bedeutet es ihnen?«
»Woher sollen sie wissen, daß er nicht mein Sohn ist?« fragte Kerwin. »Die Terraner kennen eure hochentwickelten Überwachungsmethoden nicht. Das Kind nennt mich Pflegevater , und es gibt nicht genug Sprachexperten auf Darkover, daß sie den Unterschied zu Vater erkennen würden. Mir steht das gesetzliche Recht zu, meinen Sohn im Raumfahrer-Waisenhaus aufziehen zu lassen. Wenn ich die Mutter meines Kindes für ungeeignet hielte, den Jungen als Terraner zu erziehen, genügt das, um ihn dort Aufnahme finden zu lassen.« Er berührte Cleindoris Schulter, eine Geste von großer Zärtlichkeit. »Ich bitte dich, Breda , laß es mich tun und dich für ein oder zwei Jahre nach Terra oder einer anderen Welt schicken, bis sich dieser Fanatismus legt. Dann kannst du zurückkehren und in aller Öffentlichkeit lehren, was du jetzt insgeheim tust. Valdir und Damon ist es bereits gelungen, die Stadtältesten zu überreden, daß sie Matrix-Mechanikern die Lizenz zur Berufsausübung erteilen. Sie arbeiten in Thendara und Neskaya, und eines Tages werden sie auch in Arilinn arbeiten. Dem Rat gefällt das nicht, aber wie lautet das Sprichwort? … Der Wille Hasturs ist der Wille Hasturs, aber er ist nicht Gesetz im Land . Erlaube mir, das für dich zu tun, Breda . Geh nach Terra.«
Cleindori senkte den Kopf.
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