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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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sich öffnenden Tür … Er biß die Zähne zusammen, bezwang die Panik, die gegen die geschlossene Tür seiner Erinnerung hämmerte. Aber er konnte sich gar nicht erinnern. Da waren nur die Furcht, der Schrei einer Kinderstimme und Dunkelheit.
    Streng befahl er sich, kein Narr zu sein. Ragan hatte diesen Kristall benutzt, und er hatte ihn nicht verletzt. Unsicher ließ sich Kerwin vor dem auf dem Tisch liegenden Kristall nieder, beschattete seine Augen, wie die Frau es getan hatte, und blickte hinein. Nichts geschah.
    Verdammt, vielleicht war ein besonderer Trick dabei, vielleicht hätte er Ragan auftreiben und ihn überreden oder bestechen sollen, damit er ihn lehrte, wie der Stein zu benutzen war. Nun, dafür war es jetzt zu spät. Kerwin starrte grimmig entschlossen in den Kristall, und einen Augenblick lang war ihm, als schimmere ein blasses Licht darin auf, das in ihm eine leichte Übelkeit erzeugte. Aber es verschwand wieder. Kerwin schüttelte den Kopf. Sein Hals war steif geworden, und seine Augen spielten ihm Streiche, das war alles. Der Blick in die altbekannte Kristallkugel war nichts als eine Art Selbsthypnose, und davor mußte er sich hüten.
    Das Licht blieb. Als schwacher, nadelspitzengroßer Farbfleck bewegte es sich innerhalb des Steins. Es flammte auf , und Kerwin fuhr zusammen. Es war, als habe ein rotglühender Draht sein Gehirn berührt. Und dann hörte er eine weit entfernte Stimme, die seinen Namen rief … Nein. Es waren keine Wörter. Aber sie sprach zu ihm , zu niemandem sonst, der je existiert hatte, es war eine ganz und gar persönliche Botschaft. Es war etwas Ähnliches wie Du, ja du. Ich sehe dich .
    Oder sogar: Ich erkenne dich .
    Benommen schüttelte er den Kopf. Er umklammerte die Tischkante. Sein Kopf schmerzte, aber jetzt konnte er nicht mehr aufhören. Ihm war, als höre er sprechen, nur zufällige Silben … eine leise murmelnde Stimme oder mehrere Stimmen, die gerade unter der Grenze der Verständlichkeit lagen. Wie ein plätschernder, wispernder Bach, der über scharfe Steine rieselt, ging es dahin.
    Ja, er ist der eine.
    Jetzt kannst du nicht mehr widersprechen.
    Cleindori hat zu schwer dafür gekämpft, als daß wir es vergeuden dürften.
    Weiß er, was er hat, und was geschieht?
    Sei vorsichtig! Verletze ihn nicht! Er ist es nicht gewöhnt.
    Ein Barbar, ein Terranan …
    Wenn er uns überhaupt nützen soll, muß er seinen Weg allein und ungeleitet finden, auf der Probe bestehe ich.
    Dazu brauchen wir ihn zu sehr. Laß mich helfen …
    Ihn brauchen? Einen Terranan …
    Diese Stimme hörte sich nach dem Rothaarigen im Sky-Harbor-Hotel an, aber als Kerwin herumfuhr – er rechnete halb und halb damit, der Mann habe irgendwie den Weg in sein Zimmer gefunden – war niemand da, und die körperlosen Stimmen waren verschwunden.
    Er beugte sich vor, er starrte in den Kristall. Und dann schien sich der Stein auszudehnen, und Kerwin sah das Gesicht einer Frau.
    Einen Augenblick lang dachte er wegen des Aufleuchtens ihres roten Haars, es sei das kleine, elfenhafte Mädchen, das Taniquel genannt worden war. Dann wurde ihm klar, daß er sie nie zuvor gesehen hatte.
    Ihr Haar war rot, aber von einem hellen Rot, eher golden als rot. Sie war klein und schlank, und ihr Gesicht war rund und von kindlicher Glätte. Sie konnte noch nicht viel über Zwanzig sein, dachte Kerwin. Sie sah ihn gerade an, mit großen, verträumten grauen Augen, deren Blick durch ihn hindurchzugehen schien.
    Ich habe Vertrauen zu dir , sagte sie irgendwie, wortlos, zumindest klangen die Worte in seinem Kopf wider, und wir brauchen dich so sehr, daß ich die anderen überzeugt habe. Komm .
    Kerwins Hände verkrampften sich um die Tischkante.
    »Wohin? Wohin? « rief er laut.
    Aber der Kristall war wieder leer und blau, und das fremde Mädchen war verschwunden. Kerwin hörte seinen eigenen Aufschrei dumm von leeren Wänden widerhallen.
    War sie jemals da gewesen? Kerwin wischte sich die Stirn ab, die feucht war von kaltem Schweiß. Hatte sein eigenes Wunschdenken versucht, ihm eine Antwort zu geben? Schnell steckte er den Kristall in die Tasche. Damit durfte er keine Zeit verlieren. Er mußte sich auf den Sternenflug vorbereiten, seine Besitztümer verkaufen und Darkover auf Nimmerwiedersehen verlassen. Seine Träume und der letzte Rest seiner Jugend blieben zurück. Zurück blieben all diese vagen Erinnerungen und quälenden Träume, diese Irrlichter, die ihn halbwegs zur Vernichtung geführt hatten. Irgendwo mußte er

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