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Die blutige Sonne

Die blutige Sonne

Titel: Die blutige Sonne Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Zimmer Bradley
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sich ein neues Leben aufbauen. Es würde ein kleineres Leben sein, markiert durch die ZUTRITT-VERBOTEN-Schilder vor seinen toten Hoffnungen und Sehnsüchten. Voll Bitterkeit und Resignation mußte er sich aus den Träumen seines alten ein neues Leben aufbauen …
    Und dann erhob sich etwas in Jeff Kerwin, und das war nicht der gehorsame CommTerra-Angestellte, sondern etwas, das sich auf die Hinterbeine stellte und den Boden stampfte und kalt und entschieden sagte: Nein .
    So würde es sich auf keinen Fall abspielen. Der Terranan konnte ihn nicht zwingen zu gehen.
    Zum Teufel, was glauben sie, wer sie sind, diese verdammten Eindringlinge auf unserer Welt?
    Die Stimme aus dem Kristall? Nein, sagte sich Kerwin, das war eine Stimme aus seinem eigenen Inneren, die sich den Befehlen des Legaten einfach widersetzte. Dies war seine Welt, und er wollte verdammt sein, wenn er sich zwingen ließ, sie zu verlassen.
    Er stellte fest, daß er sich automatisch bewegte, ohne nachzudenken, wie ein lange verschüttetes anderes Selbst. Kerwin sah sich im Zimmer umhergehen und das meiste seines Besitztums zurücklegen. Ein halbes Dutzend kleiner Andenken warf er in eine Tasche, den Rest ließ er, wo er war. Er hängte sich die Matrix an ihrer Kette um den Hals und verbarg sie sorgsam. Schon wollte er die Uniformjacke aufknöpfen. Dann zuckte er die Schultern und behielt sie an. Doch er trat vor den Schrank und nahm den bestickten darkovanischen Mantel heraus, den er an seinem ersten Abend in Thendara gekauft hatte. Er legte ihn sich um die Schultern und machte die Verschlüsse zu. Einen kurzen Blick warf er in den Spiegel. Dann schritt er, ohne noch einmal zurückzusehen, aus seinem Quartier. Flüchtig dachte er daran, daß er es niemals wiedersehen werde.
    Er ging durch die zentral gelegenen Aufenthaltsräume der Junggesellenquartiere und nahm die Abkürzung durch die verlassenen Speisesäle. An der Außentür des Abschnitts blieb er stehen. Eine klare und unmißverständliche innere Stimme sagte: Nein, nicht jetzt, warte .
    Ohne zu verstehen, folgte er dem Wink – was hätte er sonst tun können? Er setzte sich nieder und wartete. Seltsamerweise war er überhaupt nicht ungeduldig. Das Warten hatte die gleiche ruhige Wachsamkeit wie das einer Katze vor einem Mauseloch. Es war die Überzeugung, daß es – ja, richtig war. Er saß still, die Hände verschlungen, und pfiff eine tonlose kleine Melodie vor sich hin. Er verspürte nicht die geringste Nervosität. Eine halbe Stunde, eine – Stunde, eineinhalb Stunden verstrichen. Seine Muskeln wurden steif, und er verlagerte sein Gewicht, aber er wartete weiter, ohne zu wissen, auf was.
    Jetzt .
    Er stand auf und trat hinaus in den leeren Korridor. Während er den Gang schnell hinunterging, fragte er sich, ob ein Haftbefehl auf ihn ausgestellt werden würde, wenn man ihn in seinem Quartier vermißte. Wahrscheinlich ja. Er hatte keine Pläne außer dem einen grundlegenden, sich der Deportation zu widersetzen. Das bedeutete, er mußte irgendwie unbeobachtet nicht nur aus dem Hauptquartier, sondern auch aus dem Raumhafen und der ganzen Terranischen Zone hinausgelangen. Was danach kam, wußte er nicht, und merkwürdigerweise kümmerte es ihn auch nicht.
    Weiter, den seltsamen Winken gehorchend, bog er aus dem Hauptkorridor ab. Dort konnte er Bekannten begegnen, die sich nach Dienstschluß in ihre Quartiere begaben. Er wandte sich einem wenig benutzten Frachtaufzug zu. Wenigstens sollte er, so sagte er sich, den darkovanischen Mantel ausziehen. Wenn ihn jemand damit innerhalb des HQ sah, würde das zu Fragen und zur Entdeckung führen. Schon hob er die Hand, um die Verschlüsse zu lösen und den Mantel über den Arm zu hängen. In Uniform würde er nur ein weiterer unsichtbarer Angestellter sein, der die Gänge durchquerte.
    Nein .
    Klar, unmißverständlich erklang die Warnung in seinem Kopf. Verwirrt ließ er die Hand sinken und behielt den Mantel an. Aus dem Aufzug trat er in einen engen Flur und blieb stehen, um sich zu orientieren. Mit diesem Teil des Gebäudes war er nicht vertraut. Am Ende des Flurs war eine Tür. Er schob sie auf und geriet in einen überfüllten Vorraum. Was nach einer ganzen Schicht von Wartungsleuten in Uniform aussah, quirlte durcheinander und machte sich für den Heimweg bereit. Und eine große Gruppe von Darkovanern in ihren farbenfrohen Anzügen und langen Mänteln bahnte sich einen Weg durch die Arbeiter in Richtung auf die Außentür und die Raumhafentore.

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