Die blutige Sonne
Schluck aus seinem Glas und fuhr fort: »Jetzt, wo du hier bist und Gelegenheit gehabt hast, dich ein bißchen auszuruhen, ist es sehr wichtig, daß wir dich auf Laran testen – daß wir herausfinden, wieviel von einem Telepathen du an dir hast, welche donas in dir liegen, welche Ausbildung du brauchen wirst, bevor du mit uns allen zusammenarbeiten kannst – beziehungsweise umgekehrt. Wir werden dich auf ein halbes Dutzend Arten testen. In einer Gruppe geht es besser. Daher …« – er nahm einen weiteren Schluck – »… Kirian .«
Kerwin zuckte die Schultern und hob sein Glas auf. Der Likör hatte einen stechenden Geschmack und einen merkwürdig flüchtigen Geruch. Er schien auf seiner Zunge zu verdunsten, bevor er ihn richtig schmecken konnte. Nach seinen Vorstellungen war das keine angenehme Art, sich zu betrinken. Es war mehr wie das Inhalieren eines Parfums als das Trinken irgendeiner Flüssigkeit. Ein vages Limonen-Aroma war dabei. Vier oder fünf Schlucke leerten das Glas, aber man mußte sie langsam nehmen, weil die Dämpfe einfach zu stark waren, um das Zeug wie einen gewöhnlichen Drink hinunterzukippen. Kerwin stellte fest, daß Corus das Gesicht verzog, als sei ihm der Geschmack sehr zuwider. Die anderen waren offensichtlich daran gewöhnt; Neyrissa ließ den Likör in ihrem Glas kreisen und atmete die Dämpfe ein, als handele es sich um einen köstlichen Brandy. Kerwin kam zu dem Schluß, daß der Geschmack daran mit der Gewöhnung kommen mußte.
Er leerte den Kelch und setzte ihn ab.
»Und was geschieht jetzt?« Zu seiner Überraschung rollten ihm die Wörter mühsam über die Zunge. Er hatte einige Schwierigkeiten, sie zu bilden, und als er zu Ende gesprochen hatte, war er sich nicht sicher, welche Sprache er benutzt hatte. Rannirl wandte sich ihm zu und sagte mit einem Grinsen, das Kerwin, wie dieser erkannte, ermutigen sollte: »Nichts, worüber du dir Sorgen zu machen brauchst.«
»Ich verstehe nicht, warum das notwendig ist«, meinte Taniquel. »Er ist doch bereits auf Laran getestet worden! Die Mühe haben sie uns mit den Überwachungsschirmen abgenommen.« Während sie sprach, flackerte ein ungerufenes Bild in Kerwins Gedanken auf, der Bruder und die Schwester, die seine Matrix studiert und ihm dann arrogant mitgeteilt hatten, er sei weder in ihrem Haus noch auf ihrer Welt willkommen.
»Verdammte Unverschämtheit!« rief Corus zornig aus. »Das habe ich nicht gewußt.«
Taniquel sagte: »Und was das Übrige betrifft …«
Kerwin sah auf das Mädchen hinab, das sich an sein Knie schmiegte. Ihr Gesicht war ihm zugewandt, ihre Augen, leuchtend vor Mitgefühl, suchten seinen Blick. Sie war ihm sehr nahe. Kerwin hätte sich niederbeugen und sie küssen können.
Er tat es.
Taniquel lehnte sich an ihn, lächelnd, ihre Wange an seiner. Sie verkündete: »Kennard, Empathie positiv.«
Kerwin erschrak, als ihm bewußt wurde, daß er seine Arme um Taniquel gelegt hatte. Dann lachte er, entspannte sich und machte sich plötzlich keine Gedanken mehr darüber. Wenn es dem Mädchen nicht recht gewesen wäre, hätte sie das bereits zu erkennen gegeben. Er spürte jedoch, daß sie zufrieden war, in seinen Armen zu liegen. Auster gab einen Schwall unverständlicher Silben von sich, und Neyrissa sah Taniquel vorwurfsvoll an und schüttelte den Kopf.
» Chiya , das ist eine ernste Sache!«
»Und es war mir völlig ernst«, lächelte Taniquel, »auch wenn euch meine Methoden unorthodox erscheinen.« Sie legte ihre Wange gegen Kerwins. Zu seiner Überraschung fühlte Kerwin einen Klumpen in seiner Kehle, und zum ersten Mal seit Jahren sammelten sich Tränen in seinen Augen und verschleierten ihm die Sicht. Jetzt lächelte Taniquel nicht mehr. Sie rückte ein bißchen von ihm ab, ließ aber ihre Hand wie ein Versprechen an seiner Wange liegen.
Sie sagte leise: »Kannst du dir einen besseren Test für einen Empathen vorstellen? Ich sagte mir: Wenn er keiner ist, dann schadet es nichts, weil er nichts von mir empfängt, aber wenn er einer ist – dann verdient er es.« Ihre weichen Lippen berührten Kerwins Hand, und seine Gefühle überwältigten ihn beinahe. Die Zartheit und Intimität dieser kleinen Geste bedeutete ihm mehr als alles, was jede Frau in seinem ganzen Leben je getan hatte. Damit hatte sie ihn voll akzeptiert, als Mann und als menschliches Wesen, und irgendwie waren er und Taniquel hier vor allen anderen plötzlich zu einer engeren Verbindung gelangt als Liebende.
Die anderen hatten
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