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Die Blutlinie

Die Blutlinie

Titel: Die Blutlinie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cody Mcfadyn
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nördlich von Berkeley in der Bay-Area. Wir sind dorthin gefahren, um Peter Connollys Mutter zu besuchen, eine Frau mit Vornamen Patricia. Der Führerscheinkopie in der Akte haben wir entnommen, dass sie inzwischen vierundsechzig Jahre alt ist. Wir haben beschlossen, unangemeldet auf ihrer Türschwelle zu erscheinen, statt unseren Besuch anzukündigen und unseren Verdacht zu äußern. Mütter haben schon früher ihre Söhne zum Töten ausgeschickt. Wer weiß, ob es in diesem Fall ähnlich ist?
    Ich bin in der Zone. Das ist jener Ort, wo ich immer gegen Ende einer Jagd lande. Wenn ich instinktiv weiß, dass wir unsere Beute umzingelt haben. Alle Sinne sind so sehr geschärft, dass es beinahe schmerzt, und ich fühle mich, als würde ich auf einem dünnen Klavierdraht über einen Abgrund balancieren. Im vollen Lauf, sicher, unbesiegbar, ohne Angst abzustürzen.
    Ich mustere Don Rawlings, während wir fahren, und ich sehe bei ihm einen Funken davon, die gleiche Anspannung, auch wenn sie vielleicht stärker mit Verzweiflung gemischt ist. Er wagt es, wieder Hoffnung zu schöpfen. Für ihn ist der Preis eines Fehlschlags wahrscheinlich viel höher als lediglich Enttäuschung. Er könnte tödlich sein. Trotzdem sieht Don zehn Jahre jünger aus. Seine Augen sind klar und konzentriert. Fast kann ich sehen, wie er damals gewesen sein muss, scharfsinnig und in Form.
    Wir sind alle Junkies, jeder von uns, der in diesem Beruf arbeitet. Wir waten durch Blut, Verwesung und Gestank. Wir werfen uns nachts voller Alpträume in unseren Betten hin und her, gequält von einem Grauen, das vom Bewusstsein nur mühsam verarbeitet werden kann. Wir tragen es in uns selbst aus oder auf dem Rücken unserer Freunde oder Familien; manchmal auch beides. Doch irgendwann kommen wir schließlich in der Zone an, und das ist ein unvergleichliches Hochgefühl. Es ist eine Euphorie, die einen den Gestank und das Blut und die Alpträume und das Entsetzen vergessen lässt. Und wenn man es hinter sich hat, ist man erfrischt und ausgeruht und bereit, es wieder zu tun.
    Selbstverständlich kann der Schuss auch nach hinten losgehen. Man schnappt den Täter nicht. Der Gestank bleibt, ohne die Belohnung, die ihn davonspült. Und wir setzen unsere Arbeit fort, bereit, diese Möglichkeit zu akzeptieren.
    Es ist ein Beruf, bei dem man am Rand eines Abgrunds arbeitet. Es gibt eine hohe Selbstmordrate unter meinen Kollegen. Wie in jedem anderen Beruf, wo sich bei einem Versagen ein so gewaltiges Gewicht an Verantwortung auf einen wälzt.
    Ich denke an all diese Dinge, aber es ist mir egal. In diesem Augenblick haben meine Narben keine Bedeutung. Ich bin in der Zone.
    Ich war schon immer von Büchern und Filmen über Serienmörder fasziniert. Schriftsteller und Regisseure scheinen besessen von der Vorstellung, dass sie ihrem Helden eine Brotkrumenspur auslegen müssen, der er folgen kann. Eine logische Kette von Schlussfolgerungen und Hinweisen, die zum Nest des Monsters führen, wenn das »AHA!« endlich blendend grell aufleuchtet.
    Manchmal ist es so, zugegeben. Doch die meiste Zeit über nicht. Ich erinnere mich an einen Fall, der uns fast in den Wahnsinn getrieben hat. Der Kerl brachte Kinder um, und nach drei Monaten tappten wir immer noch im Dunkeln. Nicht eine einzige heiße Spur. Eines Morgens erhielt ich einen Anruf vom LAPD – er hatte sich selbst gestellt. Der Fall war abgeschlossen.
    Bei Jack Junior haben wir das gesamte Spektrum physischer Beweise abgegrast, einschließlich der internen IP-Nummern der Provider. Er hat sich maskiert, hat Wanzen und Peilsender angebracht, sich Jünger herangezogen, hat ausgesprochen geschickt agiert.
    Und jetzt hängt die Aufklärung des Falles wahrscheinlich von lediglich zwei Faktoren ab. Einem Stück Rindfleisch und einem fünfundzwanzig Jahre zurückliegenden ungelösten Fall, der im VICAP Staub angesetzt hat.
    Ich habe im Verlauf der Jahre gelernt, dass ich nur eine Wahrheit brauche und dass sie mich mit alldem Übrigen belohnt, das ich benötige. Überführt ist überführt, und überführt ist gut. Basta.
    Alans Handy klingelt. »Ja?«, meldet er sich. Er schließt die Augen, und in mir steigt Angst auf. Doch dann öffnet er sie wieder, und ich sehe seine Erleichterung. »Danke, Leo. Danke, dass du gleich angerufen hast.« Er legt auf. »Sie ist noch nicht wieder zu sich gekommen, aber ihr Zustand ist nicht mehr kritisch, sondern stabil. Sie ist immer noch auf der Intensivstation, doch der Arzt hat zu Leo gesagt,

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