Die Blutlinie
schüttelt den Kopf. »Ja. Ja, alles okay.« Dann sieht er mich an, blinzelt. »Was ist mit dir? Bist du okay? Wir haben nicht mehr richtig miteinander geredet, seit …«
»Es ist ja nicht so, als hättest du es nicht versucht. Und ja, für den Augenblick geht es mir gut. Für den Augenblick ist alles okay.«
»Gut.«
Wir sehen uns für einen Moment an, ohne Worte, in stummem Verständnis. Dann stehe ich auf, drücke seine Schulter ein letztes Mal und kehre nach hinten zurück.
Zuerst Callie, jetzt Alan. Probleme und Sorgen und Geheimnisse. Ich spüre Gewissensbisse. Ich war so sehr in meinem eigenen Schmerz gefangen während dieser letzten sechs Monate, dass ich nicht ein einziges Mal daran gedacht habe, dass auch meine Freunde Probleme haben, dass auch sie Ängste und Sorgen haben könnten. Dies wird mir nun bewusst, und ich schäme mich.
»Alles klaro, Zuckerschnäuzchen?«, erkundigt sich Callie, als ich mich setze.
»Alles bestens.«
Sie sieht mich einen Moment lang mit ihrer ganz speziellen Callie-Intensität an. Ich denke nicht, dass sie mir wirklich glaubt, doch sie lässt meine Antwort auf sich beruhen. »Also, Zuckerschnäuzchen, was wirst du tun, während wir alle mit unseren Aufgaben beschäftigt sind?«
Diese Frage bringt mich wieder zum Zweck dieses Fluges zurück, und ich erschauere. »Zuerst werde ich mit Jenny reden. Ich gehe mit ihr einen Kaffee trinken oder so.« Ich sehe zu James rüber. »Sie ist gut, und sie hat den Tatort unberührt gesehen. Ich möchte ihre Eindrücke aus erster Hand erfahren.« James nickt. »Und dann werde ich die denkbar beste Informantin besuchen, die wir meines Erachtens haben.«
Niemand fragt, wen ich meine, und ich weiß, dass alle froh sind, wenn ich mich darum kümmere. Weil ich von Bonnie gesprochen habe.
KAPITEL 10
Wir marschieren in das Gebäude des San Francisco Police Department, des SFPD, fragen nach Jennifer Chang und erhalten eine Wegbeschreibung zu ihrem Büro. Sie sieht uns kommen. Ich bin dankbar, dass ihre Augen aufleuchten, als sie mich erblickt. Sie kommt uns entgegen und hat einen männlichen Partner im Schlepptau, den ich nicht kenne.
»Smoky! Niemand hat mir gesagt, dass du mitkommen würdest!«
»Es war eine Entscheidung in letzter Minute.«
Jennifer bleibt dicht vor mir stehen und mustert mich von oben bis unten. Im Gegensatz zu anderen Leuten macht sie sich nicht die Mühe, ihr Interesse an meinen Narben zu verbergen. Sie betrachtet sie ungeniert.
»Nicht so schlimm, wie ich dachte«, sagt sie dann. »Gut verheilt. Wie sieht es innen aus?«
»Ein wenig wund, aber es heilt ebenfalls.«
»Gut. Also – übernehmt ihr den Fall jetzt, oder was?« Jenny kommt ohne Verzögerung zur Sache. Ich muss behutsam vorgehen. Zwar übernehmen wir den Fall tatsächlich, doch ich möchte nicht, dass Jenny oder andere Mitarbeiter der Polizei von San Francisco deswegen sauer sind auf uns.
»Ja … Allerdings nur wegen der an mich gerichteten Nachricht. Du kennst die Regeln; die E-Mail ist eine direkte Drohung gegen einen Bundesagenten.« Ich zucke die Schultern. »Damit ist es eine Bundesangelegenheit. Das hat nichts damit zu tun, dass einer von uns denken würde, ihr kämt nicht mit dem Fall zurecht.«
Sie sinniert einen Moment über meine Worte. »Ja, schön, meinetwegen. Ihr Typen habt mir nie irgendwas vorgemacht.«
Wir folgen ihr in ihr Büro, einen kleinen Raum mit zwei Schreibtischen. Nichtsdestotrotz bin ich überrascht. »Dein eigenes Büro, Jenny? Ich bin beeindruckt.«
»Drei Jahre hintereinander die beste Aufklärungsquote. Der Captain hat mich gefragt, was ich mir wünsche, und ich habe gesagt, das hier. Und er hat es mir gegeben.« Sie grinst. »Hat zwei Jungs rausgetreten, die schon seit Ewigkeiten beim SFPD sind, um das zu ermöglichen. Hat mir nicht gerade viele Freunde eingebracht … Als würde mich das interessieren!« Sie deutet auf ihren Partner. »Sorry. Ich hätte euch früher vorstellen sollen. Das ist Charlie De Biasse, mein Partner. Charlie – die Feds.«
Charlie neigt den Kopf. De Biasse ist offenkundig ein italienischer Name, und Charlie sieht auch so aus, wenn auch vielleicht nicht ganz reinblütig. Sein Gesicht ist ruhig und strahlt Gelassenheit aus. Seine Augen passen nicht ganz zu diesem Eindruck – sie wirken scharf. Scharf und aufmerksam. »Erfreut, Sie kennen zu lernen.«
»Gleichfalls.«
»So«, sagt Jenny. »Und wie lautet der Schlachtplan?«
Callie liefert ihr eine kurze Zusammenfassung der
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