Die Blutmafia
»Kiefer hat eine Schwester, mit der er zusammen in einer Villa in Steinebach lebt. Steinebach am Wörthsee …«
»Kenn' ich.«
»Auch den Ortsnamen hat er nie genannt?«
Sie schüttelte den Kopf.
»Irma, Kiefers Schwester, saß heute morgen bei mir im Büro. Sie war schon da, als ich ins Präsidium kam. Sie war sehr aufgeregt – und das verstehe ich auch. Ihr Bruder ist verschwunden … Er hat ihr nichts hinterlassen als eine kurze Notiz: er sei auf einer Reise. Falls er nicht zurückkehre und sich auch sonst nicht melde, möge sie bei seinem Rechtsanwalt vorstellig werden, der ihr einen Brief übergeben würde, in dem er alles niedergelegt und erklärt habe.«
Veras Herz begann heftig zu hämmern. Sie hatte Mühe, die Hände ruhig im Schoß zu halten.
»Doch das ist leider noch nicht alles. Kiefers Schwester erzählte mir nämlich, daß Rio in den letzten drei Wochen mindestens viermal draußen in Steinebach in der Villa gewesen war.«
»Das hast doch du veranlaßt?«
»Schon. Aber nicht das, was sich dort abspielte. Rio kam, die beiden vertieften sich in Gespräche, das schien durchaus in Ordnung. Aber dann gingen sie in den Keller … In diesem Keller befindet sich ein Schießstand. Ich kenne ihn. Dort haben sie stundenlang geballert.«
»Aber Rio kann doch gar nicht schießen …«
»Jetzt schon«, sagte Paul Novotny. »Der Alte hat's ihm beigebracht.«
»Und wieso, Paul?«
»Wieso? Irma war natürlich neugierig. Und so öffnete sie die Tür und schlich die Treppe hinab. Die beiden machten gerade Pause und unterhielten sich. Und nun kommt der Hammer: Sie unterhielten sich darüber, wie man Engel von Bio-Plasma umlegen könne, und dazu noch einen anderen Mann in Berlin. Über das Verfahren sprachen sie, über die Taktik gewissermaßen – und auch, wer das besorgen sollte …«
Veras Mund war trocken. Berlin! – Sie dachte das Wort, sie wollte es schreien, aber sie bekam es nicht heraus.
»Und noch etwas ist passiert, das mir zu denken gibt, Vera: Ludwig Kiefer hatte sich ein Taxi bestellt. Und der Taxifahrer in Steinebach erzählte Irma Kiefer, er habe ihn zum Flughafen gebracht … Meine Leute ermitteln dort bereits. Aber nach allem, was ich von ihnen bisher über Funk erfuhr, scheint Kiefer fürs Einchecken einen falschen Paß benutzt zu haben. Jedenfalls ist sein Name nirgends registriert … Aber seine Sommersachen fehlen im Kleiderschrank. Das hat seine Schwester festgestellt. Und auf seinem Schreibtisch fand sie einen alten Mallorca-Reiseführer.«
»Und dort …«, flüsterte Vera.
Novotny nickte. »Und dort auf der Insel lebt Engel …«
Es blieb ihr ja nicht viel anderes übrig: Madalena war heute zu ihrer Tante nach Manacor gefahren. Und ewig nur zu lesen, Platten zu hören oder auf der Finca herumzuhängen und im Pool zu planschen war nicht ihr Fall, da war die › Pirata ‹ trotzdem noch besser. Gegen Kitty, so aufgemotzt und bescheuert sie auch sein mochte, hatte Irena im Grunde nichts – aber dieser total verklemmte Langweiler von Hochstett? Das junge Mädchen war an diesem Morgen ziemlich sauer.
Als Thomas schließlich wie immer zu spät am Hafen ankam, waren weder Hochstett noch Kitty dabei. Nur Tonio, der ihm das Angelzeug nachtrug. Thomas selbst hatte seinen Aktenkoffer in der Hand, und das hieß wiederum, daß er sich für Stunden in die Kajüte klemmen würde, um dort dann mit der Satellitenverbindung in der Welt herumzutelefonieren und seine komischen Geschäfte zu machen. »So was ist absolut abhörsicher, Kleines …«, hatte er ihr einmal anvertraut. Wieso er abhörsicher telefonieren mußte, interessierte Irena nicht. Sollte er …
Thomas winkte. »Du, Irena, besorg uns doch noch eine Stange Zigaretten. Und nimm einen Karton Eis mit, damit du unterwegs nicht verhungerst.«
Irena nickte und schlenderte hinüber zum Supermarkt am Ende der Ladengalerie.
Thomas und Tonio waren bereits am Boot. Tonio ließ gerade die Gangway herab, als Irena auf den Parkplatz einbog, der zum Supermarkt gehörte. Nicht viel los um diese Zeit. Nur wenige Autos. Die Nächte waren lang in Cala d'Or, und Touristen wie Segler oder Yachtbesitzer krochen spät aus den Betten.
Vor dem Eingang des Supermarkts wuchsen drei Palmen. Sie waren von einem hübschen, aus Natursteinen erbauten, etwa ein Meter hohen Blumenrondell eingesäumt.
Irena ging langsamer und warf einen kurzen Blick auf die gelbleuchtenden Blüten.
Ein schwarzer langer Schatten fiel auf Steine und Blüten. Ein schwarzer,
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