Die Blutmafia
grinste: »Mädchen übrigens auch.«
»Was Sie nicht sagen! Ich wollte Sie nämlich fragen, ob das vielleicht die Yacht ist, die dort gerade einläuft …«
Der Kellner schützte die Augen mit der Hand vor den Strahlen der tiefstehenden Sonne. »Ja«, sagte er. »Richtig. Das ist sie. Das ist die ›Pirata II‹.«
»Stop, Toni. Beide Maschinen Stop. – Herrgott noch mal, bring sie nach Backbord rüber.«
Thomas Engel war müde, wütend und nervös. Vor allem aber – und das kam bei ihm sehr selten vor – wußte er nicht, wie er sich verhalten sollte.
Nochmal nahm er das Glas hoch, dabei war er sich absolut sicher: Das Mädchen dort auf der Terrasse neben den Andenkenständen, gleich an der Pizzeria ›Bianco y Negro‹, das Mädchen in den roten Shorts und dem weißen Hemd war – seine Tochter.
Jetzt hatte er sie wieder, und das Bild war glasklar. Kein Irrtum: Irena! Da stand sie und betrachtete unschlüssig eine Sonnenbrille. Zwei andere Brillen hatte sie in der linken Hand. An der Terrassenmauer aber, auf einem der beiden Mopeds, hockte Madalena, die Tochter des Verwalters von ›Can Rosada‹, Irenas Freundin.
Engel steckte das Fernglas wieder in die Halterung am Kartenbord. Dann rannte er den Niedergang hinab, zwängte sich durch den Gang zwischen den Kabinen und riß die Salontür auf.
Und alles war genau so, wie er es sich vorgestellt hatte: Kitty – splitternackt an der Bar, ein Champagnerglas in der Hand. Und drüben, auf der Lederbank, dieser Clown, dieser Vollidiot, den Kopf auf Cleos Brüsten, die Finger irgendwo sonst … Gleich würden sie an Land sein, und der hatte noch nicht mal was davon gemerkt.
»Jochen!«
Er riß den Kopf hoch und glotzte. Herrgott noch mal, das beste wäre, den Hochstett hier und sofort im Hafenbecken zu versenken.
»Was ist denn, Thomas?«
»Los, zieh dich an! – Und du, Kitty, verschwinde in die Kabine. Du auch, Cleo. Los schon, Beeilung!«
»Aber …«
»Nichts aber.« Engel las ein Bikiniunterteil vom Boden und pfefferte es Kitty ins Gesicht. »Mensch, ihr bumst hier rum – und draußen am Hafen wartet Irena. Hast du jetzt begriffen, ja?«
Sie nickte nur und rannte los.
Er ging wieder hoch auf die Brücke und sagte Tonio, er könne mit dem Landemanöver beginnen. Tonio nickte. Das Boot drehte sich im Hafen und glitt langsam rückwärts mit gedrosselten Motoren der Mole entgegen.
Engel sah, daß Irena ihm zuwinkte. Neben ihr hatte sich ein alter Mann aufgebaut, einer dieser typischen Touristen in ihren blödsinnigen Freizeitanzügen, ein grünes Hütchen trug er auch noch auf dem Kopf. Auch er hatte beide Hände auf die Terrassenbrüstung gestemmt und beobachtete, wie die ›Pirata‹ sich zwischen den anderen Schiffen an Land schob.
»Thomas! – Papi!« Irenas helle Stimme übertönte das Geräusch des schäumenden Wassers.
Tonio schaltete die Motoren ab und sprang geschickt auf die Mole, um die Leinen festzumachen.
P IRATA II – N EW J ERSEY .
Es stand in großen Messinglettern am Heck. New Jersey, dachte Kiefer, was sonst? Auch noch Steuern für einen derartigen Luxuskahn zu zahlen, kam für einen Thomas Engel wohl nicht in Frage. Und da war er nun, turnte über das Vorderdeck; blaue Bootsschuhe, blaue Shorts, nackter Oberkörper, helles Haar um den schmalen Kopf und braungebrannt, dunkler als auf all den Fotos, die Ludwig Kiefer von ihm gesehen hatte.
Ja, da war Thomas Engel!
Und hier, dieses junge Mädchen? Schon von seinem Tisch auf der Terrasse aus hatte er sie beobachtet, als sie an den Verkaufsständen Sonnenbrillen probierte, Badeanzüge hochhielt, ihrer Freundin irgendwelche Dinge zurief, die sich junge Mädchen nun mal so zurufen.
Dann hatte sie, wie er, beide Hände auf der Mauer gehabt. Und schließlich, als die Yacht näherkam, hatte sie wie wild gewunken, so daß ihr blonder Pferdeschwanz hochflog.
Thomas – Papi …
Was in Ludwig Kiefer in dieser Sekunde ablief, darüber konnte er sich auch in den folgenden Stunden keine Rechenschaft ablegen. Wie in einem Brennglas bündelten sich in ihm Energie und Überlegung. Das Resultat warf alles über den Haufen, was er in wochenlangen Gedanken für diesen Augenblick ausgebrütet und geplant hatte.
Aber es war die Chance! – Die Idee …
Eine Chance, wie sie vielleicht nie wiederkam. Das Mädchen tat ihm leid, gut, aber sie würde es überstehen. Dazu war sie bereits erwachsen genug. Und außerdem: Sie war die Tochter eines Mannes, der anderen, genauso Unschuldigen, nicht nur
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