Die Blutmafia
erklärt, der Fall Reissner sei abgehakt. Endgültig abgehakt. Und das gilt auch für Sie.«
»Jawohl, Herr Linder. Aber der Herr ist von der Polizei.«
Nun drehten sie alle die Gesichter zur Tür.
Linder legte beide Hände auf die Tischplatte. »Was soll das heißen?«
»Er möchte Sie selber sprechen, Herr Linder. Es ist … es ist … Herr Reissner ist tot.«
»Was?«
Sie sahen sich an, schauten dann zu Frau Frahm hinüber, die im Türrahmen stand, mit abgezirkelten roten Flecken im Gesicht. Sie sahen Jakob Linder an, der aufgesprungen war und dann »Einen Augenblick, meine Herrschaften« hervorstieß.
»Herr Linder? – Mein Name ist Novotny. Ich komme von der Mordkommission. Frau Frahm hat Ihnen vielleicht schon …«
»Ja. Hat sie. Unglaublich! Unfaßbar ist das. Aber bitte, Herr … Herr Novotny. Kommissar, nicht wahr, so sagt man doch? Kommen Sie bitte in mein Büro.«
Linder ging voraus, das Kreuz durchgedrückt, die Schultern gespannt, riß eine ledergepolsterte Tür auf, führte Novotny in einen großen, lichtübergossenen Raum.
»Bitte, nehmen Sie Platz.«
Er warf sich in seinen Sessel, griff nach dem silbernen Drehbleistift, um die Hand dann doch wieder zurückzuziehen. »Also, was ist passiert? Bitte, ich weiß gar nichts, rein gar nichts. Was war das? Ein Unfall?«
»Kein Unfall, Herr Linder. Mord. Und Selbstmord.«
»Wie bitte?«
»Herr Reissner hat seine Frau erschossen. Dann sein Kind. Und schließlich sich selbst.«
Linder schloß die Augen, lange, sehr lange, faltete die Hände und betrachtete sie. Schließlich hob er den Kopf: »Ich wußte es doch! Der Mann war krank – ich meine … in letzter Zeit.«
»Wie kommen Sie darauf?«
»Nicht körperlich … Das vielleicht auch. Vor allem war er geistig gestört.«
»Haben Sie irgendwelche Anhaltspunkte für diese Behauptung?«
»Anhaltspunkte? Und ob! – Er hat mich gestern abend noch angerufen, zu Hause angerufen, was er eigentlich nie tut …«
»Wann war das?«
»Lassen Sie mich überlegen. Vor dem Abendessen … Gegen sieben.«
»Und was sagte er?«
»Das Gespräch ist mir nicht sehr gut im Gedächtnis geblieben. War irgendwie so emotional aufgeladen. Aber eines ging ganz klar hervor: Er rief mich an, um mich zu beleidigen.«
»Handelte es sich dabei vielleicht um irgendwelche firmeninterne Vorgänge?«
»O nein!«
»Um was dann, Herr Linder?« Novotny lächelte. Sein schmales Gesicht war mager, knochig, die Nase fast völlig fleischlos, doch die Haut war gespannt, gesund, so daß dieser magere Vogelkopf irgend etwas Zeitloses hatte. Die dunklen Augen waren wach und lebendig, wirkten aber gleichzeitig auf eine sonderbare Art fast unbeteiligt.
Linder mißfiel das Gesicht. Nein, dieser Kommissar war nicht sein Fall.
»Was soll ich Ihnen da schon erklären? Wir hatten den ganzen Abend nach Herrn Dr. Reissner gefahndet. Er ist«, er räusperte sich, »war – muß man ja jetzt leider sagen – einer unserer wichtigsten operativen Elemente. Außerdem kam er von einem für die Firma ziemlich wichtigen Auftrag zurück. Nun, die Sache ging in die Hose. Er hat geradezu unbegreiflich versagt. Doch schließlich – einen Bericht hätte man dennoch erwarten können. Er aber hatte sich dieser Aufgabe entzogen, war einfach verschwunden. Schon das ist, nach unseren Maßstäben wenigstens, ein beinahe skandalöses Verhalten. Und dann noch dieser total bescheuerte Anruf … Also wirklich, mir reichte es.«
Linder musterte den Kommissar über den schmalen Goldrand der Lesebrille, als habe er den ›total bescheuerten Anruf‹ zu verantworten.
»Um was ging es?«
»Um was ging es … um was ging es? Wohl vor allem um Emotionen. Er versuchte, irgendwelche moralische Argumente anzusteuern. Die hatten wohl mit seiner Arbeit zu tun. Er kam aus Sachsen zurück, wo wir eine Betriebs-Schließung vornehmen mußten. Und so was ist ja nun wirklich kein Vergnügen. Vielleicht war er mit den Nerven runter. Ja, vielleicht liegt hier die Erklärung. Jedenfalls – er drückte sich äußerst unklar aus, was ich gar nicht schätze und was eigentlich auch sonst bei ihm nicht der Fall war.«
»Könnte man sagen, daß er in den letzten Wochen oder in der letzten Zeit an Depressionen litt?«
»Nein, das kann man nicht. Bei Gott nicht … Reissner war ein unglaublich harter Arbeiter. Und er beklagte sich nie. Jedenfalls nach außen zeigte er nie irgendwelche Anzeichen von Belastung. Er zeigte sie nicht – und hatte sie wohl doch … Einen gestrigen
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