Die Blutmafia
Auftrag, zum Beispiel, mußte er wegen eines Schwächeanfalls abbrechen. Diese Unpäßlichkeit fing schon während des Fluges an. Seine Mitarbeiter stellten fest, daß er an irgendeiner Verdauungsstörung litt. Magen, Darm, was weiß ich. Wir haben uns auch unsere Gedanken darüber gemacht, selbstredend. Ich ließ auch bei seiner Frau deshalb anrufen. Aber alles umsonst. Außerdem …«
Linder sprach nicht weiter. Er sah an Kommissar Novotny vorbei zum Fenster. »Seine Frau – tot? … Wissen Sie, das ist alles schon sehr erschütternd.«
Novotny nickte. Viel Erschütterung traute er diesem harten Knochen dort in seinem Chefsessel zwar nicht zu, doch jetzt schien er tatsächlich angeschlagen.
»Ich kannte sie doch! Ich kannte auch das Kind, die kleine Elfi … Ein reizendes Geschöpf. Schließlich waren wir beinahe Nachbarn. Man sah sich. Man darf gar nicht darüber nachdenken!«
Und dann, beinahe übergangslos: »Was ich noch sagen wollte: Reissners Schwächeanfall … wir haben ihn sozusagen dokumentarisch festgehalten. Falls es Sie interessiert, kann Frau Frahm Ihnen eine Videokassette von der Betriebsversammlung vorspielen. Das Fernsehen hat nämlich Reissners Auftritt gefilmt. Sie kennen das ja: Werksschließung, Arbeitsplatzverluste. Das heizt an. Vielleicht verlor Reissner deshalb die Nerven.«
Er erhob sich und breitete die Arme aus: »Was wissen wir schon?«
Er will dich loswerden, dachte Novotny und fragte: »Und Herrn Reissners finanzielle Verhältnisse, Herr Linder? Könnte es sein, daß es da Schwierigkeiten gab?«
»Was weiß ich? Eigentlich kann ich mir das nicht denken. Er hat weder gespielt, noch hielt er sich irgendwelche Geliebten – soviel ich weiß.«
»Soviel Sie wissen? Natürlich.«
»Soviel ich ziemlich genau weiß.« Linder lächelte, und da er dabei aufstand, blieb Novotny nichts anderes übrig, als sich gleichfalls zu erheben. »Wissen Sie, bei Leuten in solchen Führungspositionen, wie Reissner sie innehatte, achten auch wir auf bestimmte Schwächen. Die Zuverlässigkeit eines Mitarbeiters ist die Funktion seines Persönlichkeitsprofils. Labilität kann, wie sicher auch in Ihrem Job, gefährlich werden. Hm – nun, hier ein kleiner Blick ins Nähkästchen, Herr Kommissar: Wir haben ein unabhängiges Institut beauftragt, darauf ein Augenmerk zu haben. Und ich kann Ihnen eines sagen: Reissner war seiner Frau absolut treu. Er hatte weder die Lust noch die Zeit, sich mit anderem zu beschäftigen als mit seiner Arbeit. Es paßte auch nicht zu ihm.«
Ein ›unabhängiges Institut‹? dachte Novotny, als er die Tür hinter sich schloß. Na, danke …
Es waren die alten, tabakbraunen Wände, die alten, verschossenen Vorhänge und die alte Kühlvitrine mit der vergammelten Schwarzwälder Kirschtorte, dem Apfelkuchen und den Sahneschnittchen … Ja, und die eisernen Tischchen mit den Kunstmarmorplatten und den Gammeltypen daran gab's auch noch. Sie spielten Karten oder lasen Zeitungen, und sie würden nie den Kopf hochnehmen, selbst wenn jemand mit Claudia Schiffer am Arm hier reinkäme.
Wie gehabt!
Selbst Uschi existierte noch.
Na, die wenigstens hatte ihn gesehen! Kaum hatte Rio Martin die Tür des ›Le Café‹ aufgestoßen, setzte sie schon das Tablett mit ausgetrunkenen Kaffeetassen und Geschirr ab – so schnell, daß es klirrte – und kam auf ihn zugerannt.
»Mensch, Rio! Daß es dich noch gibt, weiß man ja. Schlägst einem ja immer deine Artikel im ›K URIER ‹ um die Ohren. Aber daß du hier einfach durch die Tür kommst … Wie find' ich das bloß?«
»Hoffentlich klasse.«
»Und ob!«
Sie reichte ihm eine runde, weiche Wange, und er küßte sie. Und weil er schon dabei war, küßte er auch gleich noch die andere, und sie lachten sich an. »Und Vera?« fragte sie.
»Vera? Vera ist weg.«
Sie riß erschrocken die blauen Augen auf. Sie war über Vierzig – mußte sie ja sein – aber sie würde ewig gucken wie eine unbedarfte Siebzehnjährige. »Rio! Ja, seid ihr etwa …«
»Seid ihr – was?«
»Ge-ge …« Sie brachte das Wort nicht über die Lippen. »Ich meine, heutzutage, wo doch jeder vom anderen wegläuft …«
»Spinnst du, Uschi? Wie kommst du bloß auf die Idee? – Da brauch' ich gleich 'nen Cognac. Ne, ne, ne, wart mal, für Cognac ist es noch zu früh. Cappuccino und 'nen Schuß rein … Nein, mit Vera klappt's wie am ersten Tag. Na, da guckst du!«
»Also weißt du … so, wie du dich früher aufgeführt hast …«
»Richtig: hast … Das ist
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