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Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Die Bogenschützin: Roman (German Edition)

Titel: Die Bogenschützin: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Sophie Marcus
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seine Erklärung für die bösen Vorahnungen.
    Es gab nun zwei Möglichkeiten: Er konnte mit seinen Männern nach Aussig eilen, um die Besatzung der Stadtbefestigung zu verstärken– auf die Gefahr hin, dort durch die Belagerer eingeschlossen zu werden. Oder er konnte sich in Richtung Meißen zurückziehen, um dort auf das katholische Heer zu warten, das hoffentlich aus allen Landen zum Entsatz Aussigs herbeiströmen würde.
    Er war sich bewusst, dass es höchst fraglich war, ob ein solches Heer sich überhaupt zusammenfinden würde, und noch fraglicher, ob dies schnell geschehen würde. Darauf zu warten, hätte wahrscheinlich bedeutet, lange untätig zu bleiben. In der von Belagerung bedrohten Stadt hingegen würden jede Hand und jede Waffe gebraucht werden. Zumal wenn die helfenden Hände Vorräte mitbrachten.
    Rasch rief Cord sich die Weiden voll grasender Rinder ins Gedächtnis, die er in den vorangegangenen Tagen gesehen hatte, und überschlug die Zeit, die es brauchen würde, um die Tiere nach Aussig zu treiben. Es schien gewagt, aber möglich. » Wir stehlen Rinder und bringen sie nach Aussig«, verkündete er den auf seine Anweisungen wartenden Recken. » Und dann machen wir es uns da bequem und essen täglich Spießbraten. Auf geht’s.«
    Alle wussten, worum es in Wahrheit ging, doch sie lachten. Und keiner von ihnen stellte auch nur für einen Moment infrage, dass er es war, der sie anführte. Woraufhin Cord vollends überzeugt davon war, dass er zumindest ein einziges Mal in diesem Krieg im Begriff war, das Richtige zu tun.
    Sie schafften es mit einer kleinen Herde beschlagnahmter Rinder in die Stadt, bevor die Hussiten ihnen den Weg versperren konnten. Die Bürger von Aussig hießen sie dankbar willkommen.
    Bereits zwei Tage später war die Stadt vom feindlichen Heer eingeschlossen und stand unter Beschuss.
    Die Verteidiger wehrten sich erbittert. Sie kämpften mit einer Zähigkeit, die Cord beschämte. Denn ihre Zuversicht zogen die Handwerker, Kaufleute und Hausfrauen, die da immer neue Munition auf die Mauern schafften, Brände löschten, in aller Hast wieder aufbauten, was zerschossen war, die selbst schossen und Wache hielten, ohne Schlaf und Nahrung schufteten und litten, aus der Hoffnung auf ein Entsatzheer. Obwohl auch Cord darauf hoffte und nie etwas Gegenteiliges laut ausgesprochen hätte, zweifelte er stark daran, dass dieses Heer ihnen rasche Befreiung bringen würde, wenn es denn eintraf.
    Wenn er eine Runde über die Stadtmauer ging und an verschiedenen Stellen einen Blick durch die Schießscharten hinaus riskierte, auf die nahe Elbe, auf deren Uferfelsen zahlreiche Feuer brannten, und auf die sanft geschwungenen Ebenen zur anderen Seite, dann sah er eine mächtige und wohlorganisierte Menge entschlossener Krieger, die einem kleinen Aufmarsch von Rittern wieder einmal nicht weichen würden.
    Er befand sich zum ersten Mal in einer belagerten Stadt, und bald stellte er zu seiner Überraschung fest, dass er sich deren Bewohnern verbunden fühlte. Obgleich er zuvor bei allem Pflichtbewusstsein seiner eigenen Seite gegenüber keinen tiefgehenden Hass auf die Hussiten gehegt hatte, verabscheute er sie nun für die Angst und die Not, in die sie die einfachen, braven Bürger versetzten. Viele Male war er auch deshalb derjenige, der eine Gruppe mutiger Männer für einen kleinen Ausfall sammelte, um die dreistesten Trupps der feindlichen Sappeure davon abzuhalten, ihre Schanzgräben in idealer Schussweite zur Stadtmauer anzulegen.
    Dieter begleitete ihn auch bei diesen Ritten jedes Mal. Zunehmend wurde deutlich, wie der junge Mann aufblühte, wenn er Blut vergießen durfte. Cord widerte diese Begeisterung ein wenig an, doch im Grunde waren in Lagen wie der gegenwärtigen gerade solche Männer von besonderem Nutzen, daher ließ er Dieter seinen Widerwillen nicht spüren.
    Sechs Männer verlor er bei den Ausfällen, etliche mehr wurden verletzt, doch er erreichte stets sein Ziel und trug so dazu bei, dass die Stadt sich halten konnte. Bald erkannten ihn die Bürger und grüßten ihn mit Hochachtung, was abermals ein neues Gefühl für ihn war. Es war seine noch frische Zugehörigkeit zum Ritterstand, die ihn in die Lage versetzt hatte, eine Anführerrolle einzunehmen, ohne auf Widerspruch zu stoßen. Er gestand sich jedoch ein, dass er es früher möglicherweise gar nicht versucht hätte.
    Eine Weile dachte er darüber nach, welche Beschränkungen die Menschen sich selbst und ihren Fähigkeiten

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