Die Bogenschützin: Roman (German Edition)
seltsame Weiber gesehen, aber diese war ganz eigen. Sie trug ein derbes und schmutziges graues Kleid unter ihrem weiten dunkelgrünen Mantel, und ihre Füße steckten in Fellstiefeln. Das hätte ihn nicht aus der Fassung gebracht, doch ihr lumpiger Aufzug stand im grellen Widerspruch zu ihrem Auftreten. Sie stand mit ihrer schlanken, schön gewachsenen Gestalt so stolz da wie eine Fürstin. Ihr blondes Haar trug sie zu einer Krone aufgesteckt, wie sie einer edlen Frau gebührte, wenn sie auch die Stirn etwas freier hätte lassen sollen. Sie musste eine ausnehmende Menge Haar ihr Eigen nennen, um sich so damit schmücken zu können. Ihr junges Gesicht hätte hübsch ausgesehen, wäre es nicht so bäuerlich gebräunt und gerötet gewesen. Außerdem starrte sie ihn so frech mit großen Augen an, dass sie sich als Angehörige eines niedrigen Gewerbes überführte. Was allerdings auch schon damit bewiesen war, dass sie ihn allein in seinem Zelt aufsuchte. Nun, ihm war es recht, vielleicht konnte er es sich leisten, sie bei sich zu behalten, bis ihm nach Schlaf zumute war.
Lächelnd schob er sein Schwert zurück in die Scheide und deutete ironisch eine Verbeugung an. » Suchst du Kundschaft, Mädchen? Dieter, was für ein Blitz hat dich getroffen? Biete ihr einen Schluck Wein an. Wir wirken ja ungastlich.«
Sie betrachtete ihn womöglich noch erstaunter als zuvor. Weiber fanden ihn in der Regel nicht abstoßend, aber solchen Eindruck hatte er noch nie gemacht. Sollte er sich geschmeichelt fühlen oder beleidigt? » Bist du zu schüchtern zum Reden?«
Sie schüttelte den Kopf, als würde sie eine Benommenheit abstreifen. » Ihr seid Wilkin von Torgau?«
Nun machte es ihn doch misstrauisch, wie sie sich verhielt. Hatte er es am Ende mit einem Trick seiner Brüder zu tun? Rasch ließ er seinen Blick durchs Zelt schweifen. Hinter dem Weib lagen halb verborgen fremde Waffen auf seiner Pritsche– ein Bogen, Pfeile. Ein Schwert? War sie der Köder in einer Falle?
Hedwig war fassungslos. Der junge Mann vor ihr hatte helleres Haar als Richard von Restorf, und er war nicht hager, sondern von gut ausgefüllter Gestalt. In allen anderen Merkmalen jedoch war er das jüngere Abbild ihres Ziehvaters. Sie hatte nicht damit gerechnet, wie sehr sie das treffen würde.
Er trug keine Rüstung, doch seine muskulöse, hochgewachsene Statur verriet, dass ein voller Plattenharnisch ihn nicht über Gebühr belasten würde. An einem hölzernen Ständer lehnte ein Schild, auf dem das Wappen der von Torgau prangte: ein weißer Luchs auf blauem Grund, darüber sechs Weizenähren. Sonst enthielt sein Zelt keine Reichtümer. Sein Diener war ein blasser, wortkarger Knabe, der unaufhörlich die Schultern hochzog, als erwartete er Hiebe. Doch das Schwert, welches Wilkin von Torgau eben noch in der Hand gehalten hatte, war prachtvoll und neu. Er hatte zweifellos das schartige alte Erinnerungsstück nicht nötig, das sie ihm brachte. Schlagartig vergaß sie alle Worte, die sie sich für diesen Moment zurechtgelegt hatte. Zudem wurde ihr der armselige Anblick bewusst, den sie bieten musste.
Sie hatte sich nach ihrer Ankunft keine Zeit genommen, um eines der besseren Kleider anzulegen, die sie inzwischen besaß. Während Cord noch Auskünfte darüber einholte, wo ihr Onkel und ihr Bruder sich aufhielten, und die Spielleute begannen, für ihren Auftritt zu werben, hatte sie aufgeschnappt, dass ein Wilkin von Torgau kurz zuvor eine angebliche Meisterleistung im Schwimmen vollbracht hatte.
Sogleich hatte sie sich auf die Suche nach seinem Zelt gemacht, ohne den anderen Bescheid zu geben. Denn hätte Cord sie erst einmal ihren Verwandten übergeben, wäre es gewiss schwierig für sie geworden, sich noch einmal davonzustehlen.
Wilkins Miene veränderte sich plötzlich. Eben hatte er noch freundlich und anziehend gewirkt, nun verengten sich seine Augen misstrauisch. Hatte sie etwas Falsches damit getan, dass sie ihn nach seinem Namen fragte?
» Der bin ich. Wer hat dich geschickt?«, sagte er.
Betreten senkte Hedwig den Blick, um ihre Gedanken zu sammeln. Er ließ ihr keine Zeit dazu. Mit zwei Schritten war er bei ihr, griff nach ihrem Arm, zog sie von der Pritsche weg und zeigte auf ihren Bogen und das Schwert. » Was ist das? Wozu bist du hier? Schicken meine Brüder dich? Dachten sie, ich wäre heute so betrunken, dass ein Weib mich umbringen kann?«
Sie entzog ihm unangenehm berührt ihren Arm. Schlechter hätte diese Begegnung kaum beginnen
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