Die Borgia: Geschichte einer unheimlichen Familie (German Edition)
Bretagne, zu heiraten. Diese würde nicht nur ihre viel gerühmten körperlichen und intellektuellen Qualitäten in die Ehe einbringen, sondern als letzte ihres Geschlechts auch das Herzogtum Bretagne, das damit unter die unmittelbare Herrschaft der Krone fiele. Diese einmalige Gelegenheit durfte sich der neue Monarch, wie man in Rom genau wusste, nicht entgehen lassen. Um vom Papst die Dispens zur Annullierung der ersten und damit die Erlaubnis zur zweiten Ehe zu erhalten, würde er so gut wie alles tun, was in seiner Macht stand. Für die Borgia, die sich ein halbes Jahrzehnt lang mehr oder weniger in der politischen Defensive befunden hatten, eröffneten sich damit verlockende neue Horizonte.
Während sich die verheißungsvollen Verhandlungen mit dem allerchristlichsten König anbahnten, ordneten die Borgia ihre Reihen neu. Nach der Aufhebung ihrer Ehe mit Giovanni Sforza war Lucrezia in den Augen ihres Vaters brachliegendes politisches Kapital. Im Juli 1498 verheiratete er sie daher kurzerhand mit Alfonso, einem unehelichen Prinzen des aragonesischen Königshauses, das in Neapel weiterhin auf Abruf regierte. Was der Papst damit bezweckte, blieb selbst gut informierten Kreisen unklar. Alexander VI. glaubte seit geraumer Zeit nicht mehr an die Zukunftsaussichten dieser Dynastie und schmiedete bereits Pläne, wie er ihrer Herrschaft ein Ende bereiten könnte. Zudem boten sich im Zeichen der nahenden Allianz mit Frankreich günstigere Möglichkeiten, um den Rang der Borgia auf königliches Niveau anzuheben. Die Hand seiner Tochter mit einer politisch nicht profitträchtigen Eheschließung zu vergeuden, sah dem Meisterstrategen im Vatikan jedoch ganz und gar nicht ähnlich. Die am besten begründete Vermutung lautete deshalb, dass diese Heirat nur das Vorspiel zu einem viel einträglicheren dynastischen Coup bilden sollte. Dieser bestand darin, Cesare mit der Tochter König Federicos zu verehelichen und dem Bräutigam damit den Weg auf den Königsthron von Neapel zu bahnen.
Aber wie auch immer die Pläne des Brautvaters aussahen, bei der Hochzeitsfeier im Vatikan ließ er sich nicht lumpen. Eine Schauspieltruppe führte anzügliche Komödien auf, danach war ein Ball bis zum frühen Morgen angesagt. Dabei schwang keiner das Tanzbein emsiger als der siebenundsechzigjährige Papst selbst. Bei allem Vergnügen an der heiteren Geselligkeit und der Gesellschaft der mondänen Damenwelt war das zugleich ein eindrucksvoller Vitalitätsnachweis und damit eine politische Demonstration: Freut euch nicht zu früh, wir, die Borgia, haben noch viele Jahre an der Macht vor uns! Lucrezia, die achtzehnjährige Braut, freute sich wirklich. Ihr zweiter Ehemann war jung, gutaussehend und von ritterlichen Manieren. Aus dem politisch motivierten Manöver wurde so unversehens eine Liebesheirat. Hätte die Braut geahnt, welches Damoklesschwert über ihrem Gatten hing, wäre sie weniger glücklich gewesen. Zerschlugen sich die Pläne ihres Vaters, Cesare den neapolitanischen Thron zu verschaffen, dann war ihr Ehemann Alfonso seinerseits totes Kapital, und zwar in einem unheilvollen doppelten Wortsinn.
Die wichtigste familiäre Neuformierung aber war zugleich ein Skandal, der durch die ganze Christenheit nachhallte: Am 17. August 1498 legte Cesare Borgia sein Kardinalat nieder. Dieses war eine Würde, auf die ihr Inhaber nur in einer extremen Notlage zum Wohle der Kirche und der Gläubigen verzichten dufte, zum Beispiel wenn anderenfalls eine Dynastie erlosch und dadurch kriegerische Verwicklungen drohten. Im Falle Cesares lautete die dürre Begründung schlicht, dass er keine Neigung zum geistlichen Stand verspürt habe, die damit verbundenen Verpflichtungen nicht erfüllen könne und daher um seines Seelenheils willen in den Laienstand zurücktrete. So wie der Papst selbst den Zölibat, das Simonieverbot und andere Kernsätze des geistlichen Rechts handhabte, musste diese Erklärung den Kennern der Borgia ein Schmunzeln entlocken. Dass Cesare der Sinn nach militärischen Großtaten und fürstlichen Würden stand, war seit langem kein Geheimnis. Dazu war der Weg nach dem Tod Giovannis jetzt frei.
Zugleich war der Weg zu einem eigenen Borgia-Fürstentum jedoch weit. Abkürzen konnte ihn allein der König von Frankreich. Ludwig XII. und die Borgia hatten somit ihre jeweiligen Herzenswünsche. Alles sprach dafür, sie sich wechselseitig zu erfüllen. Schließlich konnte die eine Seite der anderen gewähren, was diese am dringendsten
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