Die Botin des Koenigs reiter2
eine durchscheinende Hand nach ihr aus. Wirst du mir erlauben, dir zu zeigen, wie du deine Gabe beherrschen kannst?
»Ja, o ja!«
Sie spürte eine leichte Berührung an ihrer Handfläche. Ein Schmetterling flatterte von ihr auf und hoch in die Luft, frei vom Stein.
TAGEBUCH DES HADRIAX EL FEX
Alessandros hat Gott den Rücken gekehrt. Er hat beschlossen, dass es keinen Gott gibt. Wenn es einen Gott gäbe, erklärte er, hätte sein Vater ihn nicht hier in diesem Land allein gelassen. Wenn es einen Gott gäbe, hätte er die Barbaren inzwischen besiegen können. Wenn es einen Gott gäbe, hätte Alessandros dem kranken Arcosia Heilung bringen und der gesegnete Herrscher des Kaiserreichs werden müssen.
Also hat er sich selbst zu einem Gott erklärt. »Sieh doch nur meine Macht!«, sagte er zu mir. »Ist das etwa nicht die Macht eines Gottes?«
In der Tat, er nutzt seine Kräfte, um die Welt nach seiner eigenen Vorstellung zu verändern – die Tiere, die er geschaffen, die Leben, die er genommen hat. Aber alles, was ich sehe, ist Zerstörung. Als wir in dieses neue Land kamen, war es voller Möglichkeiten, unverdorben und frisch, so ganz anders als Arcosia, das dahinvegetierte, weil die Ethera erschöpft war und eine so große und langlebige Bevölkerung es ausgemergelt hatte. Nun zerstört Alessandros alles, was er berührt – die Menschen, die Tiere und das Land selbst, das braun und unfruchtbar geworden ist, als welke es voller Verzweiflung dahin. Er missbraucht Ethera in großen Mengen. Das Land besteht nur noch aus abgeholzten Wäldern und Schlachtfeldern. Er hat in diesem neuen Land schneller mehr Schaden angerichtet, als Arcosia von all seinen Magiern je zugefügt wurde.
Heute Abend hat sich Alessandros vor den versammelten Truppen zum Gott erklärt. Die Priester wurden gefoltert und ins Feuer geworfen. Er sagte, das Opfer sei erforderlich, um uns von ihren lästerlichen Lehren zu reinigen. Jeder, der dabei ertappt wird, den früheren Gott anzubeten, soll das gleiche Schicksal erleiden.
Ich habe die Moral der Truppen nie schlechter gesehen. Es desertieren mehr Männer als je zuvor. Sie werden unvermeidlich gejagt und getötet, und ihre Leichen werden öffentlich ausgestellt, damit alle eine Vorstellung des Zorns von Alessandros dem Gott erhalten.
Es gibt Männer, von denen ich weiß, dass sie insgeheim immer noch dem einen wahren Gott dienen, aber ich werde sie nicht verraten, weil ich selbst zu ihnen gehöre.
Selbst Renald und die anderen Löwen sind unruhig, aber sie sind viel zu treu, um es laut auszusprechen. Sie leben, um Alessandros zu dienen, und sie sind die tapfersten Soldaten seines Heeres. Keiner von ihnen hat je versucht zu desertieren.
Heute Abend werde ich zu Gott beten, dass Alessandros auf den richtigen Weg zurückfindet, dass er sich daran erinnert, wozu wir hier sind, und der Wahnsinn von ihm abfällt.
SCHWARZSCHLEIER
Da das Bewusstsein nur wenig zu tun hatte, während es wartete, begann es zu träumen, Tagträume und Nachtträume, Träume voller Erinnerungen, und so erfuhr es seinen Namen.
Ich war Alessandros. Alessandros del Mornhavon.
Der Sohn von Kaiser Arcos, der Erbe des Kaiserreichs.
Diese Enthüllung war jedoch wenig aufregend, so als hätte es das alles tief drinnen schon lange gewusst.
Den Namen zu kennen erschloss allerdings neue Wege zu seiner Geschichte, seiner Kindheit und zu Erinnerungen daran, wie es … wie er mit Hadriax an seiner Seite zum Mann herangewachsen war. Zusammen waren sie auf die Beize gegangen oder hatten Aufstände in den Provinzen des Reichs niedergeschlagen. Es hatte Feste und Bälle gegeben, Diners und Feiertage. Hadriax hatte Wein und Frauen in ihre Räume geschmuggelt, wenn ihm danach war. Alessandros hatte diese Ablenkungen genossen, aber sie hatten ihn weniger interessiert als Hadriax.
Hadriax war immer bei ihm gewesen, der schneidige Soldat und Höfling, sein bester Freund und bester Kämpfer.
Dann waren sie übers Meer gesegelt, um das neue Land zu erforschen. Alessandros sollte die Gelegenheit erhalten, sich zu beweisen und dem Kaiser zu zeigen, was für ein Mann er war. Auch wollte er sich bei der Bevölkerung beliebter machen.
Alles in allem war dies sein Augenblick, um ein wahrer Mann zu werden und Gott selbst deutlich zu machen, dass er ihn angemessen auf Erden vertreten konnte.
Es galt, Ruhm und Reichtümer zu erwerben und die größte Ausdehnung der Grenzen des Kaiserreichs seit der Zeit von Arcos I. zu erzielen.
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