Die Botin des Koenigs reiter2
Wall. Sie sangen Lieder von Kraft und vom Aushalten, von Frieden und Ruhe.
Unterhalb des Chors jedoch war ein Knistern zu hören, ging die Zerstörung des Walls weiter. Die Stimmen klangen unsicher, der Rhythmus ihrer Lieder war ein wenig ungleichmäßig.
Der Wall schauderte plötzlich wie ein Haus, das vom Sturm getroffen wird. Die Stimmen schrien auf, als der Wall versuchte, einem gewaltigen Andrang von Macht standzuhalten. Alton wäre beinahe aus dem Stein gestoßen worden, aber er schlang sein Bewusstsein fest um eine kristalline Struktur und hielt sich fest.
Er wusste nun, dass es dringender war denn je, mit der Arbeit zu beginnen. Er musste wieder Ordnung in den Rhythmus des Walls bringen. Er musste das Lied singen, das Karigan ihm beigebracht hatte.
WESTRIONS FLÜGEL
Enttäuscht und müde ging Karigan die Treppe zum Haupteingang der Burg hinauf. Sie fragte sich, ob es Hauptmann Mebstone wohl bald besser gehen würde. Sie brauchten sie jetzt mehr als je zuvor.
Wie sollte sie den König davon überzeugen, dass sie zum Wall gehen musste? Der Hauptmann würde ihr nicht helfen können … Vielleicht, nur vielleicht, würde sie ja die Befehle des Königs missachten und sich davonstehlen müssen. Ihr Herz klopfte heftig bei diesem Gedanken.
In der Burg hatte sich die Situation erheblich beruhigt. Soldaten und Diener trugen die Rüstungen Stück für Stück weg, ein Helm unter einem Arm, Beinscheinen über der Schulter. Die Flure wirkten seltsam leer ohne die alten Wachtposten an den Wänden.
»Reiter!«
Karigan drehte sich um und sah, wie ein Bote vom Grünen Fuß auf sie zugeeilt kam.
»Ja?«
»Unten im neuen Reiterflügel«, brachte das Mädchen heraus und musste dann erst einmal Luft schnappen. »Reiter Bowen ist verletzt.«
Garth!
Karigan rannte los. Sie machte sich schreckliche Sorgen, was passiert sein könnte. War er von den Rüstungen verwundet
worden? Vielleicht hatte er sich beim Möbelschleppen verletzt?
Sie verließ die geschäftigen Flure des bewohnten Teils der Burg und eilte einen leeren Gang entlang, der zum Reiterflügel führte. Sie hätte den Läufer bitten sollen, auch noch Tegan zu holen, aber wahrscheinlich war es ohnehin sie, die nach ihr geschickt hatte.
Der Reiterflügel war still, unheimlich still, und sie hatte wieder das Gefühl, von geisterhaften Präsenzen umgeben zu sein, die ihr Dinge zuflüsterten; unsichtbare Finger zupften an ihrem Ärmel, und die Lampen flackerten.
»Garth?«, rief sie. Ihre Stimme klang hohl. Sie erhielt keine Antwort.
Sie schauderte, und kalter Schweiß brach ihr aus, als ein Schatten an ihr vorbeihuschte. Das hier fühlte sich einfach nicht richtig an, und sie wollte schon zurück in den Hauptteil der Burg rennen, um Hilfe zu holen, als sie ein sehr menschliches Stöhnen hörte.
Sie ließ alle Vorsicht beiseite und rannte zu dem einzigen Raum, in dem eine Lampe leuchtete. Es war das Zimmer, das sie Mara geben wollten, weil es am größten war. Sie hatten zweihundert Jahre Dreck weggeräumt und es sauberer gemacht, als es vermutlich in seiner gesamten bisherigen Existenz gewesen war. Garth hob die besten Möbel dafür auf und hatte sogar von seinem eigenen Geld einen schönen Teppich gekauft, alles in der Hoffnung, dass ihre positiven Gedanken und ihre Taten Mara helfen würden zu gesunden. Keiner wagte, an die Alternative zu denken.
Karigan betrat das Zimmer und keuchte. Garth lag auf dem Boden ausgestreckt, eine dicke Beule an der Schläfe.
»Garth!« Sie rannte zu ihm, kniete sich hin und legte ihm die Hand auf den Arm. »Garth?«
Seine Lider flatterten, und er stöhnte abermals. »Hinter …«, flüsterte er.
»Was?« Karigan schüttelte seinen Arm, aber er hatte schon wieder das Bewusstsein verloren.
Dann erklangen Schritte hinter ihr, und bevor sie sich umdrehen konnte, hatte man ihr auch schon einen rauen Sack, der nach Kartoffeln roch, über den Kopf gestülpt. Jetzt zeigte sich, dass Waffenmeister Drent ihr tatsächlich einiges beigebracht hatte – sie schrie und warf sich herum wie eine Wilde, trat, krallte und stieß ihren Angreifern die Ellbogen überall hin, wo sie sie erreichen konnte. Karigans Gegner grunzten und fluchten, aber sie konnte tatsächlich verhindern, dass man ihr den Sack über die Schultern zog.
In dem winzigen Augenblick, in dem alle Hände sie losgelassen hatten, riss Karigan sich den Sack vom Kopf. Ihre Angreifer waren zu dritt: ein Soldat, eine Frau, deren Nase blutete, und ein großer, kräftiger Mann,
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