Die Botin des Koenigs reiter2
UNTERKUNFT
Mara klopfte mit der Fußspitze leise gegen Karigans Tür, denn sie brauchte beide Hände, um die Platte mit dampfendem Essen und einer Kanne Tee zu tragen. Den ganzen Morgen hatte sie hinter dieser Tür kein Lebenszeichen vernommen, und selbst jetzt weckte sie Karigan nur ungern. Aber es ging inzwischen auf den Nachmittag zu, und sie nahm an, dass der Hunger langsam stärker wurde als Karigans Erschöpfung.
Als sie auf ihr erstes Klopfen hin nichts hörte, versuchte sie es wieder, diesmal lauter. Als auch das zu keiner Antwort führte, schob sie die Tür mit dem Fuß auf und fand das Zimmer zu ihrem Erstaunen leer vor.
Frische Luft drang durch das offene Fenster, und mit ihr kam der süße Duft des Grases von den Weiden herein. Die verknitterten Laken auf dem Bett zeigten an, dass Karigan tatsächlich dort geschlafen hatte – trotz der späten Stunde hatte Mara ihre Ankunft gestern also nicht nur geträumt.
Sie stellte ihre Last auf dem Tisch ab und blies sich eine Locke aus den Augen. Sie war ein wenig verärgert, dass sie die Platte nun den ganzen Weg von der Burgküche zur Reiterunterkunft getragen hatte, nur um feststellen zu müssen, dass Karigan verschwunden war. Wäre sie selbst an Karigans Stelle gewesen, dachte sie, dann läge sie wohl noch im Bett und würde eine Woche oder länger schlafen. Und genau dort
sollte auch Karigan sein – im Bett, um sich von ihren schrecklichen Erlebnissen zu erholen.
Wo steckte sie bloß?
Mara ging zum Fenster, von dem aus man auf die Weide schauen konnte, und dann wusste sie es.
Karigan watete durch das hohe Gras der Weide, um nach Kondor zu sehen; der schlechte Traum, der sie geweckt hatte, löste sich langsam auf. In dem Traum waren schwarze Baumäste durch ihr Fenster gebrochen, und der Mond hatte kalt und scharf auf dem zerbrochenen Glas auf dem Boden geglitzert. Äste und Zweige hatten sich in ihr Zimmer geschlängelt, hatten sie gesucht, sie zu sich gelockt … Als sie versucht hatte wegzurennen, waren Glassplitter in ihre nackten Füße gedrungen.
Sie schauderte, obwohl ihr die Sonne warm auf die Schultern schien. Der Traum hatte einen ansonsten wunderbaren Schlaf in einem Bett mit einem echten Kissen unterbrochen. Wie lange war es her, seit sie zum letzten Mal in einem Bett geschlafen hatte? Sie konnte sich nur noch an Steine und Wurzeln erinnern. Für die Unterbrechung ihres Schlafs hatte sie sich zunächst damit entschädigt, über eine Stunde in einem heißen Bad zu sitzen. Die immer noch frische Erinnerung daran ließ sie lächeln.
Sie fand Kondor mitten auf der Weide, wo er graste und offenbar die Sonne auf seinem Rücken genoss, die sein Fell, das Dale ausführlich gestriegelt hatte, kastanienbraun glänzen ließ.
Karigan sah sich seine Wunde an und war zufrieden damit, wie gut sie geheilt war. Sie fand kein Anzeichen von Entzündung oder Schwellung mehr, und es sah ganz so aus, als gäbe es sogar wenig Narbengewebe. Sie spürte, dass es mehr mit der
Salbe der Eleter zu tun hatte als mit allem anderen. Die Eleterin, die Kondor behandelt hatte, hatte Karigan einen Tiegel voll evaleoren- Salbe zugesteckt, und Karigan hatte auf dem Heimweg Kondors Verband damit immer wieder erneuert.
Nun konnte sie nichts Besorgniserregendes mehr feststellen. Kondor schnaubte, als ärgere ihn ihre Aufmerksamkeit, und ging zu einem anderen Grasfleck.
Nun, ich weiß, wann ich überflüssig bin.
Karigan sah ihm nach, als er über die Weide zog und mit dem Schweif träge nach Fliegen schlug. Auch ein paar andere Pferde grasten hier. Ein Schmetterling flatterte über die Wiese, und aus den Bäumen vor der Mauer, die Weide und Burggelände umgab, war das Zwitschern von Vögeln zu hören. Karigan konnte diese friedliche Szene nicht mit der finsteren Atmosphäre ihrer Rückreise nach Sacor in Einklang bringen. Es kam ihr so vor, als wäre sie mitten aus einem Albtraum gerissen und in diese friedliche, ländliche Umgebung geworfen worden.
Albträume … Damit würde sie wohl noch eine ganze Weile zu tun haben. Das war nach ihren Erlebnissen wohl unvermeidlich.
Als sie zurück zu ihrer Unterkunft ging, entdeckte sie Mara, die zielbewusst auf sie zulief.
»Er sieht gut aus«, sagte Mara mit einem Nicken zu Kondor hin.
Karigan folgte ihrem Blick. »Wenn man bedenkt, was er hinter sich hat, kann ich dir nur zustimmen.« Als sie sich wieder Mara zuwandte, bemerkte sie deren kritischen Blick.
»Du andererseits«, verkündete Mara, »siehst unterernährt aus.
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