Die Botschaft Der Novizin
versagen? Gegen den Willen der Familie handeln? Gegen ihrenOrden aufbegehren?« Die Nacht zwischen ihnen schien eine Spur dunkler zu werden.
Isabella dachte daran, wie Marcello und sie sich im Schutz der Felze geküsst hatten, wie er ihren Körper berührt und sie gestreichelt hatte. Um nichts in der Welt mochte sie diese Gefühle missen, nur weil sie in ein Kloster gezwungen worden war.
»Wisst Ihr, wer es war? Kennt Ihr den Mann?«
»Niemand kannte ihn.« Die Antwort kam rasch und hart im Tonfall, als müsse sich Suor Patina verteidigen. »Er trug immer eine Maske. Und Suor Francesca hätte sich lieber die Zunge abgebissen, als ihn zu verraten.« Die Nonne atmete schneller, was Isabella neugieriger werden ließ. Offenbar verheimlichte sie ihr etwas.
»Ich habe den Verdacht, dass dieser Unbekannte sie womöglich getötet hat«, schoss sie einen Pfeil in die Dunkelheit. »Unmöglich! Niemals! Dazu wäre er nicht fähig gewesen«, zischte die Nonne zurück.
»Ihr kennt ihn also doch, den Unbekannten hinter der Maske?«, stellte Isabella ruhig fest. »Warum sonst verteidigt Ihr ihn?« Isabella vernahm, wie sich Suor Patina aus dem knarrenden Stuhl erhob und sich am Herd zu schaffen machte. Die Glut, die im Herd unter der Asche weitergeglommen hatte, wurde aufgestochert, Reisig nachgelegt und ein wenig angeblasen. Isabella sah, dass die Nonne offenbar im Habit dagesessen hatte, denn in der aufflammenden Helligkeit schimmerte die Haube in der Nacht. Dann wurde ein Span in das flackernde Feuer gehalten. Suor Patina trug ihn zur Öllampe in der Ecke und hielt ihn gegen den Docht. Dabei kehrte sie ihr den Rücken zu. Im Lichtschein wirkte die Nonne größer und kräftiger, als sie es in ihrer Erinnerung gewesen war. Erst nachdem die Lampe ihr Licht in der Küche verbreitete und die Dinge aus dem samtenen Schatten der Nacht nahm, erkannte Isabella ihren Irrtum. Vor ihr stand nicht Suor Patina.
Isabella fuhr hoch und rutschte mit dem Fuß über die letzteschmale Stufe, auf der ihr Fuß gestanden hatte. Sie konnte sich gerade noch abfangen.
»Wer seid Ihr?«, entfuhr es ihr.
Die unbekannte Nonne drehte den Kopf, ihr noch immer den Rücken zugewandt. »Niemand, den du zu fürchten bräuchtest.«
Isabella musste schlucken. Plötzlich hatte sich die Stimme verändert, als würden die Augen, die wieder sahen, mithören. »Das kann nur ich selbst beurteilen«, sagte sie ruhig, doch in ihrem Inneren kroch langsam eine Furcht hoch, die ihr die Beine lähmte und das Atmen erschwerte.
Langsam drehte sich die Nonne um, und bereits als sie ihr Profil zeigte, wusste Isabella, mit wem sie es zu tun hatte.
»Signora Artella!«, entfuhr es ihr.
»Ich habe vermutet, dass du deine Tante gesehen hast. Ich weiß auch, dass du im Chorraum gewesen bist und dir das Neumenbuch angesehen habt. Ich weiß, dass du den Schlüssel dazu besitzt, Suor Francescas Schlüssel.«
Isabella musste schlucken. Wie hatte sie sich so täuschen und Signora Artellas Stimme mit der Suor Patinas verwechseln können? Erst allmählich wurde ihr bewusst, woran es gelegen haben konnte: Die beiden Frauen waren miteinander verwandt, womöglich Tante und Cousine. Schließlich verrotteten in den Klöstern Venedigs ganze Generationen von Frauen aus immer denselben Familien.
Signora Artella setzte sich wieder in den Flechtstuhl in der Ecke, nachdem sie eine weitere Öllampe am anderen Ende des Raumes entzündet hatte.
»Wir sollten miteinander reden, ohne die Gefahren, die uns in San Lorenzo erwarten. Hier sind die Wände weniger hellhörig.« Signora Artella faltete die Hände wie zum Gebet und rieb sie an ihrem Kinn. »Ich hatte dich unterschätzt, obwohl deine Tante mir von deinem wachen Geist berichtet hatte.« Sie lachte lautlos und ließ den Kopf pendeln. Ihre untere Lippe schobsich über die obere. »Ich begehe immer denselben Fehler, obwohl ich dreimal so alt bin wie du und über mehr Lebenserfahrung verfügen sollte.«
Isabella, die langsam genug hatte von diesem Versteckspiel, hieb mit der flachen Hand auf den Herd.
»Was wird hier gespielt?«, fauchte sie. »Sagt mir endlich, was Ihr von mir wollt, oder lasst mich in Ruhe. Ich habe niemandem etwas getan.«
Signora Artella Blick blieb unbewegt. Nur ein Zucken im Mundwinkel zeigte an, dass die Nonne überhaupt lebte und keine steinerne Plastik war. »Du hast tatsächlich niemandem etwas getan – und doch bist du bereits einen Schritt zu weit gegangen, Isabella. Jetzt kannst du nicht mehr zurück. Wir
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