Die Botschaft Der Novizin
aufstand, bemerkte sie die Gestalt rechts von ihr: dunkel und drohend. Beinahe wäre sie über ihre eigene Überraschung gestolpert. Doch der Fremde rührte sich nicht. Sie konnte gerade noch einen Schrei unterdrücken, als sie begriff, wer sich unter dem Gestrüpp aus Efeu und Feige verbarg: eineStatue aus Stein. Womöglich hatte sie einmal den Garten geschmückt, war von den Pflanzen überwuchert und schließlich vergessen worden. Sie stieß langsam den angehaltenen Atem aus und versuchte sich zu beruhigen.
Rasch drehte sie sich um und lief zu Marcello zurück. »Danke«, flüsterte sie, als sie ihn aus seiner Lage befreite. »Du musst mir helfen. Ich will zum Bibliothekar!«
»Du willst wohin?« Das Erstaunen in Marcellos Augen amüsierte sie. Was hatte er erwartet?
»Zu einem Freund meines Vaters«, erklärte sie kurz, wollte jedoch nichts weiter verraten. Es hatte Marcello auch nicht zu interessieren.
»Da du schon deinen Vater erwähnst. Du hattest ihn ins Kloster bestellt. Seither wartet er täglich zur Vesper darauf, dass du zu ihm kommst.«
Isabellas erhitztes Gemüt kühlte schlagartig ab. »Soll er warten! Ich habe auch darauf gewartet, aus dem Kloster geholt zu werden.« Sie legte eine Pause ein, in der sie Marcello trotzig musterte. »Hilfst du mir?«
Marcello zögerte keinen Augenblick, und Isabella musste lächeln. Er war wirklich sehr in sie verliebt.
»Wir müssen warten, bis mein Gondoliere wieder hier anlegt. Ich habe ihn gebeten, ein wenig im Kreis zu fahren, damit es nicht auffällt, dass er hinter dem Kloster wartet. Es wird noch einen Moment dauern.«
Er nahm ihre Hand und zog sie hinter sich her. Isabella schlich hinter ihm her bis zu einer Stelle, die aus dem Gesträuch herausführte. Solange sie sich gebückt bewegten, waren sie vor Blicken geschützt. Bis zum Kanal waren es höchstens fünfzehn Fuß, die man rasch überwinden konnte. Sie kauerten sich nebeneinander und warteten. In kurzen Abständen hob Marcello den Kopf und spähte zur westlichen Kanaleinfahrt hinüber, ob der Gondoliere in Sicht kam.
»Es wird wohl noch dauern«, sagte Marcello nahe ihrem Ohr.
Sie fühlte seinen Atem an ihrem Hals, spürte, wie seine Lippen ihre feinen Härchen dort berührten, wie er mit spitzer Zunge über die Haut fuhr, dass es kitzelte und sie gleichzeitig einen wohligen Schauer verspürte. Er kniete neben ihr, und seine Hand glitt sanft ihren Rücken entlang, hinunter und wieder hinauf. Schließlich berührte die zweite Hand ihr Habit und rutschte ganz sanft ihre Brust entlang nach vorne, strich sanft darüber und drückte sie schließlich fest an sich.
In Isabella stritten sich die Gefühle. Einerseits genoss sie Marcellos Zärtlichkeiten, andererseits sah sie in ihm in erster Linie einen nützlichen Helfer. Allein würde sie nicht zu dem Bibliothekar gelangen, so viel war sicher. Sie hätte schwimmen oder zurück durch das Kloster gehen müssen. Letzteres konnte sie nicht, Ersteres getraute sie sich nicht. Also ließ sie Marcello gewähren, ohne ihn jedoch zu ermutigen.
Ein Pfiff rettete sie, bevor es notwendig gewesen wäre, eine Entscheidung zu treffen. Marcello ließ von ihr ab und hob den Kopf, dann hob er seinen Arm, und Isabella sah, wie eine Gondel über das Wasser des Kanals glitt. Marcello und sie erhoben sich und hasteten über ein Stück Land bis zum Ufer, stiegen ein und setzten sich unter der Felze nieder, sicher vor ungebetenen Blicken.
»Wohin jetzt?«, fragte Marcello.
Isabella lehnte sich sanft an ihn, gewährte ihm, seinen Arm um sie und an den Ansatz ihrer Brust zu legen, und befahl: »Zur Offizin meines Vaters nach San Polo. Direkt hinter die Kirche.« »San Polo!«, rief Marcello dem Gondoliere zu, zog Isabella an sich und küsste sie.
KAPITEL 57 Was Padre Antonio zu sehen bekam, war das Werk von Vandalen! Der klare Himmel, der sich aus dem Frühdunst herausschälte, offenbarte ein Chaos. Überall im Friedhofsgarten des Klosters lagen abgerissene Rosen verstreut. Ästewaren abgebrochen, Sträucher genickt, und auch sonst bot der Cimitero einen Anblick der Verwüstung. Blumenbeete waren zertreten worden, und Knochen lagen überall verteilt.
»Das ist ja grauenhaft«, flüsterte der Pater, und Signora Artella murmelte etwas wie eine Bestätigung.
Offensichtlich hatte man das Beinhaus aufgebrochen und die Knochen ringsum verstreut, als hätte man mit den Gebeinen des Ossuariums gespielt und sie einem Hund hinterhergeworfen. Oder man hatte etwas gesucht, überlegte
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