Die Botschaft Der Novizin
Padre Antonio. Er erinnerte sich an seinen eigenen Gedanken, als er zum ersten Mal vor dem Beinhaus gestanden hatte.
»Wer war das?«, fragte der Pater den Patriarchen, der mit gebeugtem Haupt und kopfschüttelnd vor der Verwüstung stand, die Hände ineinander verschränkt, als verstehe er die Welt nicht mehr und versuche sie mit diesem komplizierten Griff zu fassen. Dabei drehte er mit einer Hand beständig einen Ring an seinem Finger.
»Suor Lucia behauptet, es sei ein Haufen wilder Männer gewesen, die sich hier einen Spaß erlaubt hätte.« Er machte eine Pause, kräuselte die Lippen unwillig und stieß hervor: »Nachzügler des Carnevale! In dieser Stadt endet diese Zeit der Späße niemals!« Dabei lachte er lautlos, räusperte sich aber, als er sah, dass der Pater dies missbilligte.
Padre Antonio zog die Augenbrauen hoch. »Einen Spaß nennt Ihr das?« Er wagte sich weiter in den Obstgarten hinein, der zugleich der Friedhof war. So würden die Früchte besonders süß werden und die Mägde des Herrn im Laufe der Zeit in den Kreis des Lebens zurückkehren. Eine makabre, jedoch durchaus des Nachdenkens werte Vorstellung. So dienten die Frauen selbst im Tod den Lebenden und dem Wohl der Gemeinschaft.
Er wandte sich dem Gebeinhaus zu, das im hinteren Teil des Cimitero lag. Ein Interesse trieb ihn, das ihn bereits beim ersten Besuch hierhergeführt hatte. Er ging zu dem kleinen Bau hinüber, betrat das Gebäude und blickte sich um. Sein Verdachtbestätigte sich, als er sah, welche Gebeinfächer des Ossuariums ausgeräumt worden waren. Es handelte sich um eben jene, die er bei seinem ersten Besuch hier selbst gerne inspiziert hätte. Es waren die Stellen der Wand, hinter denen es durchaus hätte weitergehen können, in verborgene Kammern oder zu Treppenhäusern, die in die Tiefe führten, auch wenn es hier nirgends allzu tief hinabging. Alle Knochenfächer, die an den dünnen Außenwänden lagen, hatte man in Ruhe gelassen.
»Das Schlimmste habt Ihr noch nicht gesehen!«, unterbrach Signora Artella, die mit dem Patriarchen hinter ihm in den Raum getreten war, seine Gedanken. »Folgt mir, bitte!«
Überrascht sah Padre Antonio auf. Die Schwester schritt ernst in Richtung der Außenmauer. Diese offenbarte ihr Geheimnis erst, als sie dicht davorstanden. Sie grenzte direkt an den Kanal und enthielt eine Pforte, durch die man den Garten betreten konnte. Diese hölzerne Pforte war aus ihren Angeln gerissen worden und lehnte an der Wand. Jemand hatte sie dort abgestellt, denn die Fußabdrücke auf dem Türblatt zeigten, dass man es zunächst so am Boden hatte liegen lassen, wie es aus der Füllung herausgebrochen worden war, und dann darüber-getrampelt war. Signora Artella wandte sich nach rechts. In einigem Abstand davon war das Gemeinschaftsgrab für Suor Maria und Julia Contarini ausgehoben worden.
»Mein Gott!«, entfuhr es dem Pater, als er sah, dass die Gräber beschädigt waren. »Hat man ... die Leichen ...?« Mehr wagte er nicht auszusprechen. Signora Artella trat bis an das Grab heran und deutete nach unten. Der Pater trat hinter dem Patriarchen an die Grube und blickte nach unten. Weder Suor Maria noch die Novizin lagen mehr in ihrer letzten Ruhestätte. Der Pater hatte bereits viele Frevel gesehen. Doch der Raub von Leichen aus dem Friedhof eines Klosters war ihm bislang nicht untergekommen. Diese neue Zeit warf alles durcheinander, nichts war mehr heilig! Tote wurden ausgegraben, weil man an ihnen Leichenschauen durchführen wollte. Ärzte oder selbsternannteWissenschaftler und Künstler ließen sich die Körper bringen, schnitten sie auf, zeichneten ihre Eingeweide, die Muskeln, die Knochen. Eine widerliche Neugier beflügelte die Menschen und trieb die Armen dazu, noch zu Lebzeiten ihre eigenen Leiber zu verkaufen oder fremde zu stehlen und diese dann gegen Geld feilzubieten.
Ein süßlicher Geruch hing über dem Grab. Padre Antonio hielt sich den Ärmel über die Nase. Die Toten hinterließen ihre Spuren.
»Galeotti ziehen derzeit durch die Stadt«, versuchte der Patriarch, der bislang stumm neben ihnen gestanden hatte, eine Erklärung. »Sie missachten die Fastenzeit und verlängern damit den Carnevale. Ihnen sind alle Mittel recht, etwas hinzuzuverdienen.«
Padre Antonio nickte zwar geflissentlich, doch die Umstände und die Verwüstungen deuteten nicht auf ein Verbrechen hin, das von Galeotti verübt worden war, die in Karnevalsstimmung waren. Die Männer, die hier am Werk gewesen waren,
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