Die Botschaft Der Novizin
Amtszimmer der Äbtissin auf einem Weg, den er selbst noch nie benutzt hatte. Als sich die Tür hinter ihnen schloss, ließ sich der Patriarch von Venedig mit einem Seufzer auf den hochlehnigen Stuhl der Äbtissin sinken und sah ihm erwartungsvoll entgegen.
KAPITEL 58 »Soll ich dich begleiten?«
Isabella überlegte kurz, ob sie Marcellos Angebot annehmen sollte. Er hatte sich so um sie bemüht, hatte sie umworben und ihr während der Fahrt die schönsten Komplimente ins Ohr geflüstert. Zuletzt hatte sie seufzen müssen. Nicht über ihn, nicht über seine Art, sondern über seine unendliche Geduld, sie für sich zu gewinnen. Der Pater hatte niemals so um sie geworben, und sie befürchtete bereits, sich billig an ihn verkauft zu haben, jetzt, da sie den Vergleich erlebte.
»Würdest du auch auf mich warten?« Sie sah ihn bittend an und hoffte, ihn durch ihren Blick milde zu stimmen.
Marcello verzog die Lippen. In seine Augen trat ein harter Glanz. »Ich bin es ja gewohnt, Wache zu schieben!«, sagte er schroffer, als er vielleicht beabsichtigt hatte.
Isabella hob überrascht die Augenbrauen. Sie hatte eher erwartet, er würde ihr beteuern, wie sehr er sie liebe und dass er ewige Zeiten auf sie warten würde.
»Warum machst du das?«, fuhr er fort. »Maria wird nicht dadurch wieder lebendig, dass du hinter ihren Geheimnissen herspürst! «
»Maria nicht. Aber vielleicht bleiben andere Frauen am Leben, wenn wir wissen, wer meine Tante und deine Schwester auf dem Gewissen hat.«
»Und du glaubst, du als Frau wirst das herausfinden?« In seiner Stimme lag etwas von jener spöttischen Überlegenheit, die Männern zu eigen war, wenn sie sich über Frauen unterhielten.
Isabella stützte die Hände in die Hüften. »Wart’s ab!«, fauchte sie. »Du wirst noch sehen, wozu ich als Frau in der Lage bin.« Damit drehte sie sich um und lief die fondamenta entlang, die zum Haus des Büchersammlers führte. Sie wusste, dass ihr Hals mit roten Flecken übersät war, so wütend war sie. Am liebsten hätte sie Marcello eine Ohrfeige verpasst, doch sie wollte kein Aufsehen erregen. So stapfte sie, den Kopf vorgestreckt und dieSchultern gegen die Kälte gestemmt, in den klirrend klaren Tag hinein.
Das Haus hätte von dieser Seite her kaum als Palazzo durchgehen können, so schäbig und baufällig wirkte es. Putz bröckelte von den Wänden und hatte am Fuß der Mauern kleine Häufchen gebildet. Der Eingang lag kurz hinter einer hölzernen Brücke, in die eine der schmalen Gassen hineinführte. Als sie davorstand, musterte sie kurz das Wappen über der Tür: ein gelber Schild mit drei schwarzen Streifen. Grimmig nickte sie. Das Wappen der Contarini. Es war offenbar einer der kleineren Paläste der Familie. Das hatte sie bislang nicht gewusst. Hier also führten einige der losen Fäden zusammen, die sie entdeckt hatte.
Sie klopfte heftig und wartete, stampfte mit den Beinen, um sich ein wenig zu wärmen. Im Inneren des Gebäudes blieb es still. Isabella wusste um einen weiteren Eingang zum Wasser hin, den man nur mit einer Gondel erreichen konnte, wie das bei den Häusern der Reichen der Fall war. Doch dann hätte sie sich erneut an Marcello wenden müssen. Das wollte sie jetzt nicht. Wieder schlug sie gegen die Tür. Sie wollte nicht unverrichteter Dinge zu Marcello zurückkehren.
So stand sie vor der Tür, den Kopf gegen das Holz gelehnt, und wartete verzweifelt und betete gleichzeitig halblaut, der Herr möge ein Einsehen haben und den alten Mann hierherschicken, damit er ihr öffnete. Wie eine eisige Hand fuhr der Wind aus der Lagune unter ihr Habit. Sie fröstelte. Beinahe wäre sie umgekehrt und hätte Marcello um Hilfe gebeten, als sie ein Schlurfen hinter der Tür hörte.
»Wer da?«, kam es von der anderen Seite. Es war eine weibliche Stimme, merkwürdig rau und voller innerer Müdigkeit.
»Hier ist Julia Marosini. Ich bringe ein Buch für Messer Contarini.« Isabella flüsterte gleichzeitig eine Entschuldigung und bat Gott um Verzeihung für diese Notlüge. Doch Fische musste man ködern, und je fetter die Köder, desto fetter dieFische, hatte ihr Vater immer gesagt. Und Büchernarren bekam man am besten mit Büchern an die Angel.
Ein Riegel wurde zurückgezogen, die Tür öffnete sich einen Spalt, und ein Gesicht sah ihr entgegen. Allerdings war es nicht der Bibliothekar, dem sie in die Augen sah. Es waren Augen, die sie niemals würde vergessen können.
»Suor Immacolata!« Ihre Worte hallten in der schmalen
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