Die Botschaft Der Novizin
mussten von den Leichen gewusst und sie mussten ein Interesse am Ossuarium besessen haben. Schließlich hatten sie sich Mühe gegeben, es aufzubrechen und auszuräumen. Doch was hatten sie sich davon versprochen? Wurden von Leichenhändlern bereits ausgebleichte Knochen aufgekauft?
»Ich glaube nicht, dass es die Galeotti gewesen sind!«, sagte der Pater laut und erntete erstaunte Mienen.
»Wer dann?« Der Patriarch sah ihn mit hoch erhobenen Brauen von der Seite her an. Seine Neugier, fand Padre Antonio, war geradezu zu riechen.
»Dieselbe Person steckt dahinter, die Hand an die Frauen gelegt hat!«, verkündete er und wusste, dass dies alles nur Spekulation sein konnte. »Nur sie konnte ein Interesse daran haben.« Die Priorin sah ihn an, als sei er der Gottseibeiuns persönlich, so viel Abscheu und Widerwillen lag in ihrem Blick.
Der Patriarch runzelte nur die Stirn. »Ein wahrer Teufel!«
Padre Antonio presste die Lippen aufeinander und kämpfte mit sich. Wie viel der Geheimnisse dieses Klosters durfte er verraten, wie viel musste er schon in eigenem Interesse für sich behalten?
»Eminenz«, begann er, »darf ich Euch unter vier Augen sprechen?« Er bemerkte das verdrießliche Gesicht Signora Artellas, die offensichtlich nicht damit einverstanden war, dass sie aus diesem Gespräch ausgeschlossen sein sollte. Der Patriarch nickte kurz, nahm Padre Antonio am Arm und führte ihn beiseite.
»Sprecht, Pater. Was habt Ihr zu berichten?« Die Stimme des Patriarchen versuchte gelassen und freundlich zu klingen, dennoch spürte der Pater die Anspannung darin. Wovor fürchtete sich der Patriarch? Dass die Provveditori der Serenissima ihm vorwerfen würden, die Vorkommnisse verschuldet oder zumindest zu lange vor ihnen verheimlicht zu haben? Wohl kaum. Schließlich ereignete sich alles auf kirchlichem Boden. Dafür war ausschließlich die Kirche zuständig. Nur für die weltliche Bestrafung der Schuldigen hätte er die Serenissima anrufen müssen. Doch bislang hatte er keinen Schuldigen vorzuweisen, der hätte verurteilt werden können. Folglich konnte man ihm keinerlei Versäumnisse vorwerfen.
»Wollt Ihr tatsächlich hier draußen reden?«, flüsterte der Pater, als sie sich von Signora Artella zumindest so weit entfernt hatten, dass diese unmöglich alles verstehen konnte.
Der Patriarch lachte kurz auf, so als habe der Pater einen Spaß gemacht. »Glaubt Ihr, im Inneren des Klosters seid Ihr vor Lauschern sicherer? Die Wände innerhalb von San Lorenzo sind wie Schwämme: Sie saugen alles auf, was es zu hören gibt, und geben es für die kundigen Ohren wieder! Nur im Amtszimmer der Äbtissin wären wir ungestört.«
Padre Antonio war erstaunt, wie gut Gerolamo Querine sich innerhalb der Mauern auskannte. »Dann lasst uns dorthin gehen!«, drängte er. »Was ich Euch zu erzählen habe, ist wichtig.
Ihr habt mich damit beauftragt, die Todesfälle zu untersuchen – und ich glaube, auf etwas gestoßen zu sein, das damit zusammenhängt.«
Der Patriarch musterte ihn mit kaltem Blick. Er wartete nicht ab, ob Padre Antonio noch etwas hinzusetzen wollte, sondern drehte sich um und rief Signora Artella zu, sie würden das Amtszimmer der Äbtissin aufsuchen und wollten nicht gestört werden.
Mit zusammengebissenen Zähnen nickte die Priorin und blickte den Männern hinterher. Padre Antonio beschlich das Gefühl, mit seinem Vorstoß einerseits die Abneigung der Priorin ihm gegenüber vertieft, andererseits gegenüber dem Patriarchen einen Fehler begangen zu haben. Er konnte nicht begründen, was ihn so sicher machte. Vielleicht war es die geschäftsmäßige Art, mit der Gerolamo Querine reagierte, vielleicht die völlige Regungslosigkeit, mit der er diese Mitteilung entgegennahm. Noch bevor der Patriarch sich umgedreht hatte, hatte sich der Pater entschieden, sehr genau abzuwägen, was er sagen würde und was nicht.
Der Patriarch ging voraus. Er hatte eine elegante, flüssige Art zu laufen, so als berühre er den Boden kaum und glitte nur über ihn hinweg. Wenn er in der Kirche eine bodenlange Soutane und das Festgewand trug, musste es aussehen, als schwebe er durch den Kirchenraum. Gerolamo Querine bewegte sich innerhalb der Mauern zudem so sicher, als habe er einen Plan des Klosters im Kopf, stellte Padre Antonio fest. Ihm selbst fiel es noch nach zwei Wochen im Kloster nicht leicht, sich an die verwinkelten Gänge und die zahlreichen Um-und Anbauten zu gewöhnen und sich darin zu orientieren.
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