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Die Botschaft Der Novizin

Die Botschaft Der Novizin

Titel: Die Botschaft Der Novizin Kostenlos Bücher Online Lesen
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das Werk verborgen hatte, wollten gar kein Kreuz als Zeichen setzen, sondern ihr ureigenstes Wesen dokumentieren: das weibliche Prinzip, die endlose Wiederkehr von Geburt und Tod, das ewige Ineinanderfließen von Beginn und Ende, die Öffnungen, die das Leben empfingen und brachten, die Nahrung einließen und ausschieden. Alle diese Bedeutungen versammelten sich im Symbol des Kreises. Je länger sie darüber nachdachte, desto einleuchtender erschien ihr dieser Gedanke.
    Mit dem Arm beschrieb sie einen großen Kreis im Raum, bis das Licht der Kerze zu flackern begann. Schließlich war sie sich sicher. Man durfte die Botschaft nicht als Kreuz, man musste sie einfach mit dem Kartenumlauf lesen: Also der Türkenkopf im Westen, das Epitaph im Norden, der zweite Innenhof mit der Zisterne im Osten und schließlich das Marienfresko und damit der Eingang zum Kloster im Süden.
    Wenn sie es sich recht überlegte, war die Kreuzform eine Idee Suor Annas gewesen. Sie hatte das X auf das Laken gezeichnet und sie damit auf die falsche Fährte geführt.
    Isabella hielt es nicht mehr im Bett: Sie stand auf, lief in dem kleinen Raum hin und her und hielt sich die Schläfen, als wollte sie verhindern, dass ihre Gedanken aus dem Kopf purzelten. Wenn der Türke der Beginn blieb und erzählte, im Kloster sei etwas verborgen, dann musste die Mariendarstellung das Endeder Geschichte sein und schließlich den Ort des Schatzes bekannt geben.
    Wie lautete dann die verschlüsselte Botschaft? Die Aussage des versteckten Türken und die des Epitaphs blieben erhalten. Nur die Bedeutung der Delfine änderte sich. Ihre Aussage wurde doppeldeutig. Die Delfine sagten nur ... Isabella lehnte sich mit dem Kopf gegen das raue Holz der Tür. Der Schmerz auf der Stirn half ihr, sich zu konzentrieren. Wie musste die Botschaft dann lauten, fragte sie, halblaut vor sich hin murmelnd? »Die Delfine sagen, dass das Versteck in einer Zisterne liegt. Mehr nicht.« Isabella hatte das Gefühl, ihr Schädel müsse platzen, doch sie spürte keine Erlösung von ihren Zweifeln. Wenn dies die Botschaft war, welche Bedeutung kam dann dem vierten Bild zu, der Mariendarstellung?
    Sie versuchte, sich das Bild ins Gedächtnis zu rufen, aber sie konnte sich nicht an alle Einzelheiten erinnern. Sie musste vor Ort, musste die Mariendarstellung mit eigenen Augen sehen. Die Lösung musste in der Darstellung liegen, und zwar so offensichtlich, dass sie leicht übersehen werden konnte. Sie musste zurück nach San Lorenzo.
    Am liebsten wäre sie sofort aufgebrochen, um keinen Augenblick zu verlieren, doch nachts durch die Straßen zu laufen war gefährlich und für eine Frau eine Unmöglichkeit. Zudem fürchtete sie sich vor den Unruhen der Galeotti.
    Sie legte sich zurück auf ihre Pritsche. Das erste Licht des Tages würde sie abwarten müssen. Isabella blies die Kerze aus. Sofort umschloss sie dichte Schwärze. Es lohnte nicht einmal, die Augen zu schließen, so grundlos finster war es.
    Doch kaum war die Kerzenflamme erloschen und der Docht verströmte nur noch den sanften Geruch nach heißem Bienenwachs, bereute sie ihr Tun bereits. Ein Geräusch ließ sie aufhorchen, so sanft, dass es beinahe vom Rascheln ihres Bettlakens übertönt worden wäre, doch so nachdrücklich, dass kein Zweifeldaran bestand, was hier geschah: Jemand wühlte draußen in den Büchern und Manuskripten des Bibliothekssaals.
    Isabella lag in einer Finsternis, die sie glauben ließ, im Nichts zu schweben. Das Gefühl wurde so stark, dass sie sich zwingen musste, nicht zu schreien, nachdem sie wusste, dass vor ihrer Tür jemand war. Eine Art Lähmung fesselte sie auf ihre Schlafstätte. Was hätte es auch nützen sollen, aufzustehen und die Beine über den Bettrand zu schwingen; sie wäre in ein Nichts getreten und in die Schwärze gestürzt. Nur schleichend wich die Starre aus ihren Gliedern. Vielleicht auch deshalb, weil das Rascheln hektischer, unduldsamer wurde. Langsam flackerte wieder so etwas wie Verstand in ihrem Kopf. Mit einiger Mühe und unter Aufbietung aller Kräfte gelang es ihr, zu einem klaren Denken zurückzufinden.
    Sie richtete sich auf. Suor Immacolata hatte sie in diesen Nebenraum der Bibliothek geführt, der an den großen Saal grenzte. Donato Contarinis Zimmer befand sich am anderen Ende der Bibliothek. Wo sich Suor Immacolata aufhielt, wusste sie nicht. Vielleicht nächtigte sie auf der Pritsche, die sie im Schlafraum des Alten gesehen hatte.
    Isabella versuchte sich blind zu

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