Die Botschaft Der Novizin
zuvor ausführlich gespro - chen. Zuerst verkündete Seine Eminenz, dass er und Padre Antonio an seiner Seite im Kloster selbst Wohnung nehmen würden, um sich mit den Gepflogenheiten der Frauen vertraut zu machen und eine gründliche Prüfung zu ermöglichen. Danach bezog er sich auf die Art der Untersuchung, auf Zellendurchsuchungen, auf die Begutachtung des christlichen Lebenswandels, auf die Einhaltung der Gebetszeiten und Mahlzeiten. Er sprach über die Berufung in den Dienst des Herrn, über Bekleidung und Profess, über die Zeit, die an diesen Mauern selbst zerbrechen würde, über die Notwendigkeit der Einhaltung aller Gelübde, Arbeit und Keuschheit sowie über die gewissenhaftePflege der Fastenzeiten, über die karge Ausstattung der Zellen und die Notwendigkeit des Armutsgelübdes, über Todsünden und Buße, über Verdammnis und Erlösung, über Verpflichtung und Freiwilligkeit, die einhergehe mit der Freiheit der Entscheidung, und ganz am Ende seiner Predigt verdammte er den Zwang und das Opfer aus Staatsraison.
Der Patriarch redete sich heiß, während Padre Antonio gleichzeitig in den Gesichtern der Frauen zu lesen versuchte. Die allermeisten schliefen im Stehen; ihre Blicke wirkten glasig und nach innen gekehrt. Eine Handvoll der Nonnen presste die Lippen aufeinander, während sich die Educanda beständig nach der Tür umdrehte. Sie schien der Rede ihres Oberhirten am wenigsten Aufmerksamkeit zu schenken, und Padre Antonio beschloss, mit ihrer Vernehmung zu beginnen.
Vielleicht ein wenig zu laut setzte Gerolamo Querine zu Ende des Sermons, den er abgesondert hatte wie Schweiß, sein Amen. Jedenfalls erntete er einige erstaunte Blicke und ein belustigtes Lächeln der Educanda.
»Wir werden in den nächsten Tagen«, ergriff Padre Antonio das Wort, »alle Bräute Christi einzeln zu uns rufen, um sie über ihre Lebensbedingungen und über die strenge Befolgung der klösterlichen Regeln zu befragen. Ebenso werden wir einen Durchgang durch das Kloster unternehmen, um mit eigenen Augen beurteilen zu können, wie die Frauen von San Lorenzo in Furcht vor Gott leben.«
Padre Antonio sah durchaus die bestürzten Blicke, die man einander zuwarf. Offenbar hatte man das nicht erwartet. Um die Hühner vor ihm noch etwas mit dem Fuchs in ihm zu jagen, verkündete er zusätzlich, obwohl er es nicht gleich vorgehabt hatte, dass ihm bewusst sei, was dahinterstecke, wenn Frauen der Versammlungsglocke nicht folgten.
»Suor Crescenza und Suor Maria müssen auf das Brot achten, das im Ofen backt!«, scholl es ihm entgegen.
Das war durchaus ein Hinderungsgrund, und Padre Antoniohätte sich vermutlich damit zufriedengegeben, doch die Unruhe, die unter den Frauen entstand, machte ihn stutzig. Sofort setzte er nach: »Die Wahrheit ist ein hohes Gut. Man sollte nicht leichtfertig mit ihr umgehen. Wie schnell kann aus ihr die Lüge erwachsen!«
»Schwester Maria ist nicht zum Backen erschienen!«, hallte es plötzlich im Kapitelsaal wider.
Von einem Augenblick auf den anderen herrschte eine Grabesstille. Man hörte jetzt sogar das Fallen der Strohhalme, die aus den Bettbezügen ausgetreten und an den Kutten hierher gebracht worden waren und durch die Bewegungen der Frauen zu Boden fielen.
Selbst Padre Antonio schreckte das so entstandene Schweigen. Fieberhaft dachte er darüber nach, was er jetzt tun sollte, bis ihm der Patriarch die Entscheidung abnahm.
»Ich glaube nicht, dass ein ehrwürdiges Kloster wie das von San Lorenzo eine derartige Missachtung der Pflichten duldet.« Damit hätte es Gerolamo Querine vermutlich belassen. Er lehnte sich bereits wieder in seinem Sessel zurück. Doch jetzt hatte der Pater den roten Faden gegriffen, der ihn durch das Labyrinth dieses Klosters mit seinen Empfindlichkeiten, Rücksichtnahmen und Privilegien führen sollte.
»Prüfen wir das nach! Führt mich zur Zelle dieser Nonne!«, befahl Padre Antonio in barschem Ton. Er deutete auf die Educanda und die Oberin. Dabei streifte sein Blick die überraschte Miene des Patriarchen. »Seine Eminenz wird sofort mit den Befragungen beginnen.« Er verbeugte sich vor dem Patriarchen leicht, schließlich spürte er die Abneigung, die ihm von Seiten des Bischofs seiner Kühnheit wegen entgegenschlug. »Ihr entschuldigt mich!«, setzte Padre Antonio rasch hinzu.
Ohne den Patriarchen weiter zu beachten, der bereits den Versuch machte, aufzustehen und ihn am Fortgehen zu hindern, zitierte er die Oberin zu sich und lieh ihr den Arm beim Absteigen
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