Die Botschaft des Feuers
Lily, die darüber jammerte, dass von ihr verlangt wurde, sich in die »Einöde« zu begeben, wie sie die entlegene Zufluchtsstätte meiner Mutter bezeichnete. Mich erwarteten einige unangenehme Überraschungen, angefangen mit einem weiteren »Geburtstagsgast« - einer Frau, deren affektierter britischer Akzent mir nur allzu vertraut war:
» Liebste Katherine «, ertönte die Stimme unserer nächsten Nachbarin, Rosemary Livingston (was hier in der Gegend einige Kilometer Entfernung bedeutete), die wegen der schlechten Qualität des Tonbands noch rauer klang als gewöhnlich.
» Es bringt mich um, deine GROSSARTIGE Soiree zu verpassen «, erklärte Rosemary mit überschwänglicher Höflichkeit. » Basil und ich werden nicht da sein. Aber Sage kommt bestimmt gern - mit Glanz und Gloria! Und unser neuer Nachbar lässt dir ausrichten, dass er ebenfalls erscheinen wird. Tschü-üs! «
Das Einzige, was mich noch mehr abstieß, als einen Abend mit dem langweiligen, aufdringlichen Milliardär Basil Livingston und seiner statusgeilen Gattin Rosemary zu verbringen, war die Aussicht, ihre großspurige Tochter Sage - die professionelle Ballkönigin und emeritierte Pep-Klub-Präsidentin - ertragen zu müssen, die mich bereits sechs Jahre lang in der Schule gequält hatte. Erst recht, nachdem ich gehört hatte, dass Sage beabsichtigte, »mit Glanz und Gloria« hier anzurauschen.
Aber da die Party offenbar als Soiree geplant war, würde uns wenigstens noch eine Schonfrist gegönnt sein, ehe Sage auf uns losgelassen wurde.
Ich fragte mich allerdings, warum meine Mutter die Livingstons überhaupt eingeladen hatte, denn ich wusste, wie sehr sie Basil Livingston für die Methoden verachtete, mit denen er seinen immensen Reichtum angehäuft hatte - zumeist auf Kosten der Zivilisation.
Als einer der frühen Risikokapitalisten hatte Basil seine Kontrolle über das GAL (Geld anderer Leute) ausgenutzt, um große Teile der Hochebene von Colorado aufzukaufen und für die Ölgewinnung zu verwenden - darunter Gebiete, die den ortsansässigen Indianerstämmen als heilig galten. Das waren die Ursachen für die Kämpfe um Grund und Boden, auf die Key angespielt hatte.
Und was die Einladung an diesen »neuen Nachbarn« betraf, von der Rosemary gesprochen hatte - ich verstand die Welt nicht mehr. Was hatte meine Mutter sich bloß dabei gedacht? Sie hatte doch noch nie mit irgendwelchen Nachbarn Kontakte gepflegt. Diese Geburtstagsfeier schien sich mehr und mehr zu einer Art Alice-im-Wunderland-Party zu entwickeln, bei der man damit rechnen musste, dass alles mögliche Gewürm unter der nächsten Untertasse hervorkroch.
Die nächste Nachricht auf dem Band - eine mir unbekannte Männerstimme mit deutschem Akzent - bestätigte meine schlimmsten Befürchtungen:
» Grüß Gott, mein Liebchen «, sagte der Mann. » Ich bedaure sehr … Ja - bitte, entschuldige, mein Englisch ist nicht besonders gut. Ich hoffe, dass du alle meine Erklärungen verstehst. Hier spricht dein alter Freund Professor Wittgenstein aus Wien. Deine Einladung hat mich sehr überrascht. Wann hast du angefangen, diese Party zu
planen? Ich hoffe, dass mein Geschenk rechtzeitig zu dem denkwürdigen Tag eintrifft. Bitte öffne es sofort, damit der Inhalt nicht verdirbt. Es tut mir leid, dass ich nicht kommen kann - es ist ein wahres Opfer. Zu meiner Entschuldigung kann ich nur vorbringen, dass ich leider am Schach-Königsturnier in Indien teilnehmen muss …«
Wieder spürte ich die düstere Vorahnung, als ich auf die Pausetaste drückte und Lily anschaute. Zum Glück wirkte sie vollkommen ratlos, aber mir war klar, dass in der Nachricht zu viele Schlüsselworte gefallen waren, von denen das Wort »Schach« nur das eindeutigste war.
Was den geheimnisvollen »Professor Wittgenstein aus Wien« betraf, fragte ich mich, wie lange meine Mutter gebraucht hatte, um den Hinweis zu verstehen, oder wann Lily ein Licht aufgehen würde. Akzent hin oder her, ich hatte genau zwölf Sekunden gebraucht, um »alle Erklärungen« zu verstehen - und zu erraten, wer der Anrufer in Wirklichkeit war.
Der echte Ludwig Wittgenstein, der berühmte Wiener Philosoph, war seit über fünfzig Jahren tot. Er war bekannt für seine unverständlichen Werke, wie zum Beispiel seine erste große philosophische Abhandlung, Tractatus Logico-Philosophicus . Zum Verständnis der Nachricht auf dem Anrufbeantworter jedoch waren zwei unbekannte Texte nötig, die er selbst gedruckt und an seine Studenten an der
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