Die Bourne Intrige
Sie, glauben Sie mir.« Er lächelte. »Außerdem werde ich auch dort sein – ich geh nur nicht durch die Haustür rein.«
»Sie meinen, Sie benutzen mich zur Ablenkung.«
Sie war wirklich außergewöhnlich klug und vermochte Zusammenhänge blitzschnell zu erfassen, dachte Bourne. »Ich hoffe, es stört Sie nicht.«
»Überhaupt nicht. Und Sie haben Recht – es ist sicherer für mich, wenn ich allein hingehe.« Sie runzelte die Stirn. »Ich frage mich, warum überhaupt alle glauben, dass sie lügen müssen.« Ihre Augen fanden die seinen. Sie schien ihn mit jemand anderem zu vergleichen, vielleicht auch nur mit sich selbst. »Wär’s denn so schlimm, wenn jeder einfach nur die Wahrheit sagen würde?«
»Die meisten tun es vielleicht nur, um sich zu schützen«, meinte er.
»Aber es funktioniert ja nicht einmal – man bekommt ja trotzdem dauernd Ärger.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, die meisten belügen sich selbst genauso wie andere, vielleicht sogar noch mehr. Manchmal wissen sie gar nicht, dass sie’s tun.« Sie legte den Kopf auf die Seite. »Es hängt irgendwie mit dem Bild zusammen, das man von sich selber hat, nicht wahr? Ich meine, in seinen eigenen Gedanken kann man alles sein und alles tun, was man will. Da ist alles möglich, aber in der wirklichen Welt, da ist es so verdammt schwer, irgendwas zu verändern. Es ist so mühsam, und man wird dauernd zurückgeworfen von irgendwelchen Kräften, auf die man keinen Einfluss hat.«
»Man könnte ja eine ganz neue Identität annehmen«, meinte Bourne, »eine, mit der es nicht so schwer wäre, etwas zu verändern, weil man auch seine eigene Geschichte neu erfinden kann.«
Sie nickte. »Ja, aber das hat auch seine Nachteile. Keine Familie, keine Freunde – es sei denn, es macht einem nichts aus, dass man ganz auf sich allein gestellt ist.«
»Manchen macht das wirklich nichts aus.« Bourne sah an ihr vorbei, als wäre die Wand, an der ein billiger Druck eine Szene aus der islamischen Geschichte zeigte, ein Fenster in seine Gedanken. Erneut fragte er sich, wer er war – David Webb, Jason Bourne oder vielleicht Adam Stone. Sein Leben war eine Fiktion, eine Erfindung, egal, in welche Richtung er blickte. Er hatte bereits erkannt, dass er nicht als David Webb leben konnte, und was Jason Bourne betraf, so gab es da immer irgendwo auf der Welt jemanden, der aus dem Dunkel seines vergessenen früheren Lebens auftauchte und der ihm schaden wollte oder ihm gar nach dem Leben trachtete. Und Adam Stone? Ihn konnte man als unbeschriebenes Blatt bezeichnen, aber das stimmte so auch nicht, denn die Leute, die auf ihn trafen, reagierten in irgendeiner Weise auf ihn – auf den echten Bourne, wer immer das war. Je mehr er mit Menschen wie Tracy zu tun hatte, umso mehr erfuhr er über sich selbst.
»Wie ist es bei Ihnen?«, fragte sie, als sie zu ihm ans Fenster trat. »Macht es Ihnen etwas aus, allein zu sein?«
»Ich bin nicht allein«, gab er zurück. »Ich bin hier bei Ihnen.«
Sie lachte leise und schüttelte den Kopf. »Sie können das wirklich ausgezeichnet, auf eine persönliche Frage so zu antworten, dass Sie kein bisschen von sich preisgeben.«
»Das liegt daran, dass ich nie weiß, mit wem ich spreche.«
Sie betrachtete ihn einen Moment lang forschend, dann blickte sie aus dem Fenster auf die beiden Nilflüsse hinaus, die sich durch Nordafrika schlängelten.
»In der Nacht wird alles irgendwie durchsichtig.« Sie streckte die Hand aus und berührte ihr Spiegelbild im Fenster. »Aber unsere Gedanken – und komischerweise besonders die Ängste – werden auf einmal riesengroß, wie Götter oder Titanen.« Und mit ganz leiser Stimme fügte sie hinzu: »Sind wir gut oder böse? Was ist wirklich in unseren Herzen? Es ist deprimierend, wenn man es nicht weiß oder sich nicht entscheiden kann.«
»Vielleicht sind wir gut und böse«, meinte Bourne und dachte dabei an sich selbst, an seine verschiedenen Identitäten, zwischen denen irgendwo die Wahrheit lag, »je nach den Umständen, mit denen wir’s zu tun haben.«
Arkadin starrte in den Sternenhimmel über Aserbaidschan. Pünktlich um fünf Uhr früh war er mit seiner hundert Mann starken Truppe in die Berge aufgebrochen. Ihre Aufgabe bestand darin, die Scharfschützen zu finden, die sich am Weg versteckt hielten, und mit ihren Paintball-Gewehren auf sie zu feuern; die Waffen sahen genauso aus und fühlten sich auch so an wie AK-47- Gewehre. Zwanzig Einheimische lagen am Weg auf der Lauer.
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