Die Bourne Intrige
träumte von dem Gespräch, das er mit Tracy Atherton geführt hatte, der jungen Frau, die neben ihm saß. In seinem Traum unterhielten sie sich über Hollie Marie Moreau anstatt über Francisco Goya.
Auf der über dreiundzwanzigstündigen Reise zuerst nach Bangkok, dann nach Madrid hatte er tief und traumlos geschlafen. Der jetzige Flug von Madrid nach Sevilla war zwar nur kurz, doch er entwickelte sich zunehmend unangenehm. Ein heftiger Sturm schüttelte das Flugzeug immer wieder durch. Tracy Atherton sprach kaum noch ein Wort und starrte mit aschfahlem Gesicht vor sich hin. Bourne hielt ihren Kopf, als sie sich schließlich in die Spucktüte übergab, die er von der Lehne des Vordersitzes genommen hatte.
Sie war spindeldürr und blond, hatte große blaue Augen und ein Lächeln, das sich über ihr ganzes Gesicht auszubreiten schien. An Schmuck trug sie nur einen goldenen Ehering und diamantbesetzte Ohrringe, die zwar teuer aussahen, aber nicht aufdringlich wirkten. Bekleidet war sie mit einer feuerroten Bluse und einem leichten silbernen Seidenkostüm, bestehend aus einem Bleistiftrock und einer taillierten Jacke.
»Ich arbeite im Prado«, hatte sie ihm erzählt. »Ein privater Sammler hat mich engagiert, damit ich ihm die Echtheit eines kürzlich aufgetauchten Goyas bescheinige, von dem ich glaube, dass es eine Fälschung ist.«
»Warum glauben Sie das?«, hatte er gefragt.
»Weil es angeblich eines von Goyas schwarzen Bildern sein soll, die er in seiner späteren Lebensphase gemalt hat, als er schon taub und schwer krank war. Es gibt vierzehn Bilder aus dieser Phase. Dieser Sammler glaubt, dass er das fünfzehnte besitzt.« Sie schüttelte den Kopf. »Also, nach allem, was wir heute wissen, kann das kaum stimmen.«
Als das Wetter ruhiger wurde, dankte sie Bourne und ging auf die Toilette, um sich frischzumachen.
Er wartete ein paar Sekunden, dann griff er hinunter, öffnete ihren schmalen Aktenkoffer und sah den Inhalt durch. Für sie war er Adam Stone – dieser Name stand auf dem Reisepass, den Willard ihm gegeben hatte. Dazu hatte sich Willard eine Geschichte ausgedacht, nach der er soeben eine Firma gegründet hatte und nun unterwegs nach Sevilla war zu einem Treffen mit einem potenziellen Investor. Er hatte nicht vergessen, dass ihn auf Bali ein Unbekannter hatte töten wollen, und sah sich deshalb mit besonderer Vorsicht jeden an, der neben ihm saß, der ein Gespräch mit ihm anknüpfte und neugierige Fragen stellte.
In dem Aktenkoffer waren Fotos – manche sehr detailliert – von dem Goya-Bild, einer schrecklichen Darstellung eines Mannes, der von vier schnaubenden, sich aufbäumenden Pferden gevierteilt wurde, während Armeeoffiziere daneben standen, rauchten, lachten und mit ihren Bajonetten auf das Opfer einstachen.
In der Tasche befanden sich auch Röntgenaufnahmen des Gemäldes sowie ein Brief, in dem die Echtheit des Bildes von einem Professor Alonzo Pecunia Zuñiga bescheinigt wurde, einem Goya-Spezialisten vom Prado-Museum in Madrid. Nachdem er sonst nichts Interessantes finden konnte, steckte Bourne die Unterlagen wieder in die Tasche und schloss sie. Warum hatte ihn die Frau angelogen und behauptet, nicht zu wissen, ob der Goya echt sei? Warum hatte sie ihm erzählt, sie würde im Prado arbeiten, obwohl der Professor sie in seinem Brief als eine Außenstehende ansprach und nicht als »geschätzte Kollegin«? Er nahm sich vor, es herauszufinden.
Er blickte durch das Fenster auf die endlose Wolkenlandschaft hinaus und richtete seine Gedanken wieder auf den Mann, hinter dem er her war. Mit Hilfe von Firths Computer hatte er Informationen über Don Fernando Herrera eingeholt. Interessant war, dass Herrera Kolumbianer war, nicht Spanier. Er war 1946 in Bogotá als jüngstes von vier Kindern zur Welt gekommen. Als junger Mann wurde er nach England geschickt, wo er in Oxford Wirtschaftswissenschaften studierte. Dann nahm sein Leben unerklärlicherweise einen ganz anderen Verlauf. Er nahm einen Job als Bohrhelfer bei der Tropical Oil Company an und arbeitete sich Schritt für Schritt nach oben, bis er schließlich dafür verantwortlich war, die Förderquoten der einzelnen Standorte zu steigern. Irgendwann kaufte er Tropical Oil einen Förderstandort billig ab, weil die dortigen Experten der Ansicht waren, dass dort nicht mehr viel zu holen sei. Doch er steigerte die Förderung wieder und verkaufte den Standort nach drei Jahren um das Zehnfache des Kaufpreises an Tropical Oil zurück.
Zu
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