Die Bourne Intrige
dass er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren. Der Narbige saß auf ihm, sein Gewicht lastete schmerzhaft auf Bournes Brustkorb. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, dann knallte er Bournes Kopf erneut auf den Boden, immer wieder und wieder, was ihm sichtlich Vergnügen bereitete.
Wo ist das Messer? , dachte Bourne verzweifelt.
Er tastete mit beiden Händen den Boden ab, sah nur noch Lichtblitze, der Raum begann sich zu drehen wie ein Feuerrad aus silbernen Funken. Sein Atem wurde schwerer, sein Herz pochte wie wild in der Brust, doch als sein Kopf erneut gegen den Boden krachte, spürte er nur noch eine betäubende Wärme, die sich von den Gliedmaßen nach innen ausbreitete. Die Wärme war tröstlich, sie ließ den Schmerz verschwinden, und auch den Willen. Er sah sich auf einem Fluss aus weißem Licht treiben, weg von dieser Welt der Schatten und der Dunkelheit.
Und dann spürte er etwas Kaltes, und einen Moment lang war er sich sicher, dass das der Atem Shivas, des Zerstörers, war, dessen Gesicht er über sich spürte. Dann erkannte er, was dieses Kalte wirklich war. Als sich seine Hand um den Griff schloss, kehrte er ins Hier und Jetzt zurück, und er stieß dem Narbigen das Messer in die Seite, zwischen den Rippen hindurch ins Herz.
Der Narbige bäumte sich auf, seine Schultern zitterten, aber vielleicht kam es ihm auch nur so vor, weil sich in seinem Kopf immer noch alles drehte. So musste es sein, denn wie war es sonst zu erklären, dass er statt des Narbigen plötzlich den Kopf des Stieres vor sich sah? Er war hier doch nicht auf Kreta, nicht in der Höhle des Minotaurus. Er war in Sevilla, in der Stierkampfarena Maestranza.
Nur Augenblicke später war er wieder ganz bei sich und wusste, wo er sich befand.
Im Pferch des Stieres!
Und als er aufblickte, sah er den Stier, groß und bedrohlich, den Kopf gesenkt, die spitzen Hörner auf ihn gerichtet, um ihn aufzuspießen.
Staatssekretär Stevenson sah nicht gut aus, als Moira und Veronica Hart ihn fanden – aber kaum jemand sieht gut aus, wenn er im Kühlraum eines Leichenhauses liegt. Die beiden Frauen hatten die Umgebung des Neptunbrunnens beim Eingang der Kongressbibliothek abgesucht. So wie sie es gelernt hatten, begannen sie am Ausgangspunkt – in diesem Fall beim Brunnen – und arbeiteten sich von dort in Spiralen nach außen vor in der Hoffnung, irgendeinen Hinweis darauf zu finden, was mit Stevenson passiert war.
Moira hatte bereits Stevensons Frau und seine verheiratete Tochter angerufen, die ihn aber auch weder gesehen noch von ihm gehört hatten. Sie hatte gerade die Nummer von Humphry Bamber, Stevensons Freund und Zimmerkollege aus Collegezeiten, nachgeschlagen, als Veronica einen Anruf aus dem Leichenhaus bekam, dass gerade eine Leiche eingeliefert worden war, die der Beschreibung des Staatssekretärs zu entsprechen schien.
»Er sieht zum Fürchten aus«, sagte Veronica, als sie vor der Leiche von Steve Stevenson standen. »Was ist mit ihm passiert?«, fragte sie die Gerichtsmedizinerin.
»Unfall mit Fahrerflucht. Wirbelsäule und Hüfte zertrümmert – es muss etwas Großes gewesen sein, ein SUV oder ein Laster.« Die Gerichtsmedizinerin war eine kleine gedrungene Frau mit einem riesigen kupferroten Lockenkopf. »Er hat sicher keine Schmerzen gehabt, wenn Sie das tröstet.«
»Ich fürchte, seine Familie wird das nicht wirklich trösten«, sagte Moira.
Die Gerichtsmedizinerin fuhr unbeirrt fort; sie hatte in ihrem Beruf offenbar schon genug gesehen. Nicht, dass sie gefühllos gewesen wäre – ihr Job verlangte ganz einfach, dass man sich von keinerlei Gefühlen beeinflussen ließ. »Die Cops ermitteln, aber ich glaube nicht, dass sie etwas finden werden.« Sie zuckte die Achseln. »In solchen Fällen haben sie selten Erfolg.«
»Haben Sie irgendetwas Ungewöhnliches entdeckt?«, fragte Moira.
»Nicht bei der ersten Begutachtung. Er hatte fast zwei Promille Alkohol im Blut, deshalb ist es gut möglich, dass er über die Straße gegangen ist, ohne zu gucken«, erklärte die Gerichtsmedizinerin. »Wir warten noch auf die formelle Identifizierung, dann können wir erst mit der richtigen Autopsie anfangen.«
Die beiden Frauen wandten sich von dem Toten ab, und Veronica sagte: »Merkwürdig, dass sie keine Brieftasche bei ihm gefunden haben, keine Schlüssel, nichts, was darauf hinweisen könnte, wer er ist.«
»Wenn er wirklich absichtlich überfahren wurde«, meinte Moira, »dann wollten die Mörder sicher vermeiden,
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