Die Bräute des Satans
Steht doch geschrieben: ›Und der siebente Engel goss seine Schale aus in die Luft; und es kam eine laute Stimme aus dem Tempel vom Thron her, die sprach: Es ist geschehen. Und es geschahen Blitze und Stimmen und Donner; und ein großes Erdbeben geschah, desgleichen nicht geschehen ist, seit ein Mensch auf der Erde war, ein so gewaltiges, so großes Erdbeben. Und die große Stadt wurde in drei Teile gespalten, und die Städte der Nationen fielen, und der großen Stadt Babylon wurde vor Gott gedacht, ihr den Kelch des Weines … des … ‹« [24]
»› … Grimmes seines Zorns zu geben‹«, vollendete Bruder Hilpert, bahnte sich einen Weg nach vorn und taxierte Bruder Gervasius wütend. »Soweit also die Lesung aus der Offenbarung des Johannes, vorgetragen von unserem wackeren Cellerarius«, ergänzte er, trotz allem bemüht, die Konfrontation mit dem Kellermeister nicht auf die Spitze zu treiben. »Wobei ich mich frage, was ein umgekippter Kelch mit dem Strafgericht Gottes zu tun hat.«
»Da fragt Ihr noch?«, ereiferte sich Bruder Achatius, der Granarius, in bissigem Ton. Seine Stimme war schrill, und einmal mehr wurde er seinem Spitznamen gerecht. »Wenn das kein Zeichen war – was dann?«
»Soll das etwa heißen, man könne verschütteten Messwein als Indiz für den Zorn Gottes interpretieren?« Bruder Hilpert musste sich beherrschen, damit er nicht die Fassung verlor, Naivität hin oder her. »Das glaubt Ihr doch wohl selbst nicht, Bruder.«
»Warum nicht?«, schnappte der Cellerar, stets mit von der Partei, wenn es um ein apokalyptisches Szenario ging. »Oder meint Ihr, allein Euch stünde es zu, uns den Willen Gottes zu offenbaren?«
»Mitnichten.« Bruder Hilperts Gestalt straffte sich, und er erschien hagerer denn je. »Nach meinem Dafürhalten gilt aber das Gleiche für Euch.«
»Findet Ihr?«
»Ja, finde ich, Bruder Vestiarius.« Bruder Hilpert sah seinem Widersacher so lange in die Augen, bis dieser betreten zur Seite schielte. Dann betrachtete er die Gesichter seiner Brüder. »Damit wir uns richtig verstehen –«, fügte er an, wobei er seine ganze Autorität in die Waagschale warf. »Die Lage ist ernst, bedrohlicher als je zuvor. Schließlich kommt es nicht alle Tage vor, dass einer unserer Brüder aus unserer Mitte gerissen wird. Das heißt jedoch nicht, dass wir uns wie eine Herde verängstigter Schafe benehmen, jeden Vorfall zum Anlass nehmen, um das Unheil, mit welchem wir zweifelsohne geschlagen sind, noch zu vergrößern. Was wir jetzt brauchen, Brüder, ist Ruhe. Ruhe und einen klaren Kopf. Dann erst, nicht zuletzt mithilfe des Beistandes, welchen uns Gott der Herr allzeit gewähren möge, werden wir imstande sein, den Vormarsch des Bösen innerhalb dieser Mauern zum Stehen zu bringen. Nur Mut, Brüder – und einen klaren Kopf. Wir werden obsiegen, wenn auch vielleicht nach längerer Zeit. Die Muttergottes, unsere Patronin, der heilige Bernhard und die Mächte des Guten werden uns allzeit zur Seite stehen. Daran hege ich nicht den geringsten Zweifel.« Bruder Hilpert holte tief Luft, sah die Anwesenden der Reihe nach an und schloss mit den Worten: »Seid zuversichtlich, Brüder, und Euch wird kein Leid geschehen. Und nun – Gott befohlen.«
*
Eine Viertelstunde später, nachdem das Licht gelöscht und in der Kirche wieder Ruhe eingekehrt war, verließ Bruder Hilpert den Chor. Am Fuß der Treppe, die hinauf ins Dormitorium führte, blieb er stehen. Er kannte sich gut genug, um zu wissen, dass er keinen Schlaf finden würde, und so wandte er sich ab und steuerte auf die Mönchspforte zu. Dort draußen, im Kreuzgang, würde er noch eine Weile auf und ab wandeln. Dort war er ungestört und konnte noch einmal über alles nachdenken.
Er war noch nicht an der Tür angelangt, als sich seine Hoffnung zerschlug. Im Lauf der Zeit hatte er einen Sinn für Gefahr entwickelt, und der sagte ihm, dass er nicht allein war. Ringsum war es vollkommen still, und dennoch wurde er dieses Gefühl nicht los.
Als er herumfuhr, bemerkte er einen Lichtkegel, und so beschloss er, nach dem Rechten zu sehen. Der Lichtschein stammte von einer Laterne, die auf der Altarmensa stand, der Rest des Chors war in tiefes Dunkel getaucht. Davon überzeugt, der Letzte gewesen zu sein, der diesen Ort verlassen hatte, begann Bruder Hilpert Verdacht zu schöpfen. Der Tag war lang gewesen, für seine Begriffe viel zu lang. Und er noch keinen Schritt weitergekommen. Auf unliebsame Überraschungen, an denen weiß
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