Die Brandungswelle
her …«
Er zog sie an sich, hielt sie fest.
»Du bist schön, wenn du dich aufregst.«
Er redete lange auf sie ein, eine Hand in ihrem Haar, so wie man ein kleines Kind beruhigt.
Max fuhr am frühen Morgen los, ich hörte den Motor starten. Bis ich am Kai war, hatte das Boot schon den Hafen verlassen. Er fuhr noch in ruhigem Gewässer, aber er bewegte sich bereits auf die Strömung zu. Ich rannte zur Mole, ich winkte. Ich wusste nicht, ob er mich sah. Er blickte aufs Meer, stolz, er war ein Seemann, kein großer Seemann, aber ein Mann auf seinem Boot. Er fuhr auf den Raz Blanchard zu, er würde ihn zum ersten Mal durchqueren. Diese Strömung, die wie eine Mauer war.
Es war wie eine Taufe. Die Wellen erwarteten ihn und schlugen gegen den Schiffsrumpf. Sie hoben den Bug mit immer neuen Angriffen. Unter dem Boot bildeten sich schwarze Wasserlöcher, es brodelte heftig. Die Marie-Salope schwankte.
Max hielt das Ruder fest in der Hand, er fuhr geradewegs hinaus,
das Boot wurde vom Licht aufgesogen, es war nur noch ein Punkt, kaum weißer als die Wellenkämme. Auch wenn ich die Augen zusammenkniff, wusste ich nicht mehr, ob er es war oder der Schaum oder ob sich meine Augen verschleierten, weil ich ins Licht starrte.
Mit angezogenen Knien setzte ich mich hin, das Kinn auf den Armen. Ich starrte auf den Punkt im Meer, an dem Max verschwunden war.
Er war nicht aufs Geratewohl gefahren. Die Fischer hatten ihm erklärt, wo er Heringshaie finden würde. Um sie anzulocken, brauchte er Glück. So würde er seinen ersten Hai finden und dann die Umgebung absuchen. Manchmal würde er gerade am richtigen Ort sein, aber die Haie würden nicht da sein. Dann wäre es wieder umgekehrt. Und eines Tages würden sie beide am selben Ort sein, und Max würde seinen Heringshai fangen.
Morgane setzte sich neben mich. Sie warf Steinchen ins Wasser, die von Welle zu Welle sprangen.
»Einmal, als er gerade in der Strömung war, dachte ich, er würde kentern …«
Sie warf den nächsten Stein.
»Glaubst du, er fängt seinen Hai?«
»Man muss ihm vertrauen. Es ist sein großer Traum, und Menschen, die Träume haben, droht keine Gefahr.«
»Und die, die keine haben, welche Gefahr droht denen?«
»Ich weiß nicht … Aber für sie ist es weniger leicht.«
Sie warf noch einen Stein, weiter als den letzten. Er sprang nicht. Er glitt über das Wasser und verschwand.
Einen Moment lang starrte sie auf die Stelle im Wasser, an der ihr Stein untergegangen war.
»Eigentlich kommt Max schon ganz gut klar«, sagte sie schließlich.
Ich nickte.
»Ganz gut, ja.«
Als Max am Abend wiederkam, hatte er nur ein paar kleine Fische gefangen.
Vom Heringshai erzählte er, er habe ihn am Haken gehabt, aber die Angelschnur sei gerissen.
H ermann hatte die Näherin mitgenommen. Sie war nicht mehr im Atelier, wir schlichen um ihren Platz herum, gerade so, als würde sie noch dastehen.
Raphaël hatte sich wieder an die Arbeit gemacht, noch verbissener als sonst, er arbeitete an einer großen Gipsfigur im Entwurfsstadium. Er machte etwas, das ich nicht kannte, das ich niemals erwartet hätte, das mich überwältigte. Eine Skulptur, die nicht flehte.
Es war ein großer gehender Mann, der Körper auf einen dünnen Stock gestützt. Er schien einen Hang hinaufzusteigen, einen Hügel oder Berg?
Das Licht von draußen ergoss sich durchs Fenster. Auf dem Fußboden, vor dem Gehenden, durchbrach ein Brunnen aus weißem Licht den Schatten, zeichnete die eckigen Umrisse des Fensters nach. Der Schatten erschien im Kontrast dazu blau.
Kalt.
Diese Skulptur, noch nicht mehr als eine Andeutung, war aus dem Abschied von der Näherin geboren worden.
Aus dieser Abwesenheit.
Nach einer mehrstündigen Pause begann der Wind wieder zu wehen. Die Äste kratzten an den Fenstern, stimmten mit ihren
Klagen in die lebhaften Gebete der Flehenden ein. Eine Scheibe im Atelier war in ganzer Länge gesprungen, die Meeresbrise drang herein, ein dünner Strom von eisigem Wind, der den Staub aufwirbelte.
Raphaël kniete, er betrachtete seinen Gehenden. Den platten Gipsschatten vor ihm auf dem Boden.
»Es sieht aus, als folge er seinem Schatten.«
Er richtete sich auf, wischte die Hände an seiner Hose ab.
»Ich nenne ihn den Folger .«
Der Folger setzte sich durch, fügte sich mit Macht der vielköpfigen Menge hinzu, die das Atelier bevölkerte.
Als Morgane kam, drückte sie sich an mich und schlang ihre Arme um meinen Hals. Sie roch nach Seife, Parfüm,
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