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Die braune Rose

Die braune Rose

Titel: Die braune Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sie nie lieben können, dachte sie. Ich habe mir meine Mutter anders vorgestellt.
    Dann standen sie in der kleinen Wohnung. Stumm, jeder auf ein Wort des anderen wartend. Ein Wort, das die Berge von sechzehn Jahren versinken läßt.
    »Wo schlafe ich?« fragte Harriet-Rose.
    »Im Nebenraum. Ein kleines Schlafzimmer.«
    »Und du?«
    »Ich werde auf der Couch schlafen.«
    »Es wird unbequem sein.«
    »Aber nein. Ich habe schon öfter dort geschlafen.«
    »Wann?«
    »Wenn ich Besuch hatte.«
    »Einen Mann?«
    »Eine Freundin aus Bamberg.«
    »In Bamberg bin ich geboren.«
    »Ja. Ich war damals in Bamberg in Stellung. Bei dem Direktor einer Spinnerei. Im Haushalt.«
    »Und da hast du meinen Vater getroffen.«
    »Ja. Sie hatten in dem Waschkeller ihre Küche eingerichtet.«
    Marianne trug die Koffer in das kleine Schlafzimmer. Moderne, helle Möbel, ein blauer Teppich, eine gläserne Frisierkommode, zwei Fellhocker.
    »Du mußt gut verdienen«, sagte Harriet-Rose und setzte sich auf das Bett. »Was ist das für eine Tür?«
    »Ins Badezimmer. Sieh dich um, Rose … es ist jetzt dein Zuhause.« Marianne machte eine alles umfassende Armbewegung. »Alles gehört doch jetzt dir.«
    Harriet-Rose blieb auf dem Bett sitzen. Eine kleine, goldene Uhr in einem Krokodillederetui tickte neben ihr auf der Glasplatte des Nachttisches.
    Halb zwei.
    »Ich bin müde«, sagte sie.
    Marianne ging in die kleine Küche und schmierte ein paar Brotschnitten. Sie legte dick Wurst und Käse darauf, öffnete eine Dose mit Orangensaft und goß ein schlankes, hohes Glas voll. Auf einem Tablett trug sie alles zum Schlafzimmer. Vor der Tür blieb sie stehen. Sie schluckte den bitteren Geschmack hinunter, der ihr in der Mundhöhle lag. Dann klopfte sie an, demütig und fragend.
    »Ja«, sagte Harriet-Rose.
    Sie lag im Bett, hatte die Nachttischlampe angeknipst und die Decke bis zum Hals hinaufgezogen.
    »Ich … ich habe keinen Hunger«, sagte sie leise.
    »Du mußt etwas essen. Seit heute mittag hast du nicht mehr –«
    »Ich kann nicht.«
    Marianne stellte das Tablett neben die Uhr auf den Nachttisch und ging hinaus. Sie schloß auch wieder hinter sich die Tür. Als sie auf der Couch saß, inmitten von Kissen, einem Bettuch und einer Einziehdecke, begann sie zu weinen. Ganz still vor sich hin, lautlos, in sich hineinschluchzend. Dann machte sie ihr Bett und legte sich hin.
    Die Dunkelheit um sie herum war wie die eines Sarges. Vom Schlafzimmer herüber hörte sie keinen Laut. Ob sie schon schläft? dachte sie. Wie wird sie morgen sein? Und übermorgen? Und überhaupt? Sie ist doch mein Kind … warum empfindet sie das nicht?
    Darüber schlief sie ein. Sie wachte auf, als eine Hand über ihr Gesicht strich. Mit einem Schrei fuhr sie hoch. Harriet-Rose stand neben der Couch. Das Licht vom Schlafzimmer beleuchtete ihre schmale Gestalt.
    »Was ist?« stammelte Marianne. »Warum schläfst du nicht?«
    »Ich bin so allein.« Die Stimme Roses war unterspült von unterdrücktem Weinen. »Im Heim war es ein ganzer Saal … ich habe nie allein geschlafen … ich habe Angst.« Sie beugte sich plötzlich hinunter und legte den Kopf auf Mariannes Schulter. »Komm zu mir«, sagte sie kläglich. »Bitte … komm zu mir, Mutti.«
    Umarmt gingen sie ins Schlafzimmer. Wie ein Kätzchen kuschelte sich Harriet-Rose an Marianne. Ihre Arme umschlangen sie, ihr Kopf drückte sich an ihre Brust.
    »Wie schön das ist«, flüsterte Harriet. »Wie schön. Gute Nacht, Mutti.«
    »Gute Nacht, mein Kleines«, sagte Marianne. Sie legte den Arm um Harriets Schulter und drückte sie an sich.
    »Mutti«, seufzte Harriet im Schlaf. Ihre Atemzüge waren tief und glücklich.
    Marianne lag wach und rührte sich nicht. Der schmale, warme Körper bewegte sich in ihren Armen. Er kroch an sie heran, dehnte sich wieder, zuckte im Traum.
    Mein Kind, dachte Marianne und küßte vorsichtig den halbgeöffneten Mund. Zum erstenmal küsse ich mein Kind.
    *
    Um zehn Uhr erschien Arnold Schumacher in seiner Möbelfabrik. Er war guter Laune, denn er hatte mit einem großen Möbelversandhaus einen Fünfjahresvertrag abgeschlossen. Das bedeutete eine Vergrößerung der Polstermöbelabteilung und eine Erweiterung der Schlafzimmerproduktion. Außerdem hatte sich Paris gemeldet. Das neu entworfene nordische Herrenzimmer ›Polar‹ weckte das Interesse der Franzosen. Man erwog, es einzuführen. Das wiederum machte einen Flug nach Paris notwendig, um den Vertrag auszuhandeln. Ein Mann aber, der nach Paris

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