Die braune Rose
ihrer phantasievollen Vorstellung, das zeichnete sie nieder, und immer waren es schöne, in ihrer Eigenwilligkeit faszinierende Modelle.
Am Abend saß Harriet-Rose inmitten vieler bezeichneter Blätter auf dem Boden des Wohnzimmers und suchte die Modelle aus, die sie als herstellungsreif betrachtete. Eigentlich waren sie es alle, aber die schönsten und phantasievollsten legte sie zurück und schob sie weg. Die sind für mich, dachte sie. Einmal werde ich sie tragen, und man wird stehenbleiben und mir nachsehen. Und Neid wird in ihre Herzen kommen, Neid auf ein Mischlingsmädchen, das an ihnen vorbeigehen kann, ohne sie zu betrachten.
An der Tür schellte es wieder. Viermal war sie öffnen gegangen. Einmal kam der Milchmann und kassierte das Wochengeld, zweimal wollte ein Vertreter etwas verkaufen, der vierte Besuch war die Nachbarin, die keinen Zucker mehr hatte, Puderzucker. Sie hatte plötzlich Besuch bekommen und wollte einen Kuchen bestäuben.
Diesmal ist es die Mutter, dachte Harriet. Sie rannte zur Tür und riß sie auf. Im Treppenhaus stand Bert Schumacher. Er tropfte vor Nässe, sein blondes Haar hing wirr über das Gesicht. Seit zwei Stunden regnete es; Harriet hatte es nicht bemerkt, zu sehr mit ihren Entwürfen beschäftigt.
»Darf ich eintreten?« fragte er. Wo er stand, sammelte sich das Regenwasser aus seinen Kleidern zu einer häßlichen Lache.
»Ich … ich weiß nicht.«
»Wenn ich mir nur das Gesicht und die Haare abtrocknen dürfte.«
»Warum sind Sie hier?« stammelte Harriet. Ihre Stimme war so tonlos, daß sie nicht glaubte, Bert könne sie verstehen.
»Ich habe im Regen gestanden … mein Vater hat mir den Wagen genommen … den Führerschein …« Bert Schumacher strich sich die nassen Haare von den Augen. Es patschte etwas, und die Nässe lief ihm in kleinen Bächen aus den Haaren in den Kragen und den Hals hinunter. »Ich sah Sie am Vormittag weggehen … ich bin Ihnen gefolgt … ich habe draußen gestanden, als Sie die Nähmaschine kauften … ich bin Ihrer Taxe mit einer anderen Taxe nachgefahren … und dann ging Marianne allein weg. Da dachte ich, jetzt müßten Sie auch kommen, einkaufen, oder etwas besorgen oder … Aber Sie kamen nicht … und dann begann es zu regnen, und ich habe immer gehofft: Jetzt müssen Sie kommen.« Er wischte sich wieder über das nasse Gesicht und schleuderte dann den Regen von seinen Händen. »Wenn Sie mir ein Handtuch herausreichen würden.«
Harriet lief in das Badezimmer. Sie rannte, als verfolge man sie, riß ein Handtuch vom Halter und kehrte zurück. Bert Schumacher stand in der Diele, er hatte die Wohnungstür hinter sich geschlossen. Harriet blieb an der Zimmertür stehen und warf ihm das Handtuch zu, als sei er aussätzig und seine Nähe könne sie anstecken. Bert trocknete sich den Kopf und das Gesicht ab und legte das Handtuch auf die Ablage der Garderobe.
»Danke«, sagte er leise.
»Warum sind Sie hereingekommen? Sie hätten draußen bleiben sollen.«
»Es kam jemand von unten die Treppe herauf. Ich wollte nicht, daß man über Sie redet, Harriet.«
»Warum sind Sie überhaupt gekommen? Warum stehen Sie draußen im Regen?«
»Ich liebe Sie, Rose«, sagte er schlicht.
Harriet war es, als durchjage ein feuriger Pfeil ihr Herz. Er hinterließ einen Brand, der ihr bis zur Kehle schlug. Sie preßte fest die Lippen aufeinander, aus Angst, die Flamme könne ihr aus dem Mund schlagen und Bert Schumacher könne es sehen.
»Gehen Sie. Bitte, gehen Sie«, stotterte sie. »Ich habe es nicht gehört.«
»Ich liebe Sie«, sagte Bert lauter. »Ich weiß, daß mein Vater heute morgen hier war. Ich habe ihn am Mittag gesprochen und ihm seinen Sohn vor die Füße geworfen. Ich bin frei von allen Bindungen … ich heiße nur noch Schumacher, weil es keine Möglichkeit gibt, auch diesen Namen wegzuwerfen.«
Harriet-Rose schwieg. Sie wünschte sich sehnsüchtig, daß Marianne jetzt zurückkäme. Der Brand in ihr hatte ihren Kopf ergriffen und verwirrte ihren Willen. Sie wandte den Blick von Bert Schumacher, warf sich herum und drehte ihm den Rücken zu. Mit einer letzten, verzweifelten Kraft stampfte sie auf, immer und immer wieder.
»Gehen Sie!« schrie sie. »Gehen Sie! Gehen Sie!«
Aber während sie es hinausschrie, bettelten ihre Gedanken darum, daß er bleiben möge.
»Ich weiß, ich bin wahnsinnig«, sagte Bert leise. »Aber es ist ein seliger Wahnsinn.«
Er ging auf Harriet zu und ergriff ihre Schultern. Sie wehrte sich nicht, sie
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