Die braune Rose
Schumacher nicht mehr auf der Straße warten. Sie konnte nicht wissen, daß Arnold Schumacher schnell gehandelt hatte. Ohne Vorbereitungen hatte er seinen Sohn auf eine Reise nach London mitgenommen. Sie flogen am frühen Morgen ab, und Bert war seinem Vater in die wartende Maschine gefolgt, nur um einen öffentlichen Skandal zu vermeiden. Aber schon während des Fluges sagte er:
»Wenn du glaubst, daß ein Wassergraben das einzig Richtige ist … da irrst du dich. Zu deiner Zeit mag das möglich gewesen sein, heute nicht mehr.«
Arnold Schumacher schwieg darauf. Ein halbes Jahr wird er in London bleiben, dachte er zufrieden. Und er wird aushalten müssen, eben um keinen Skandal heraufzubeschwören. Er wird Medizin studieren und bei einem Geschäftsfreund wohnen. Und ich werde dafür sorgen, daß Heidi Pachtner ein paarmal zufällig in London ist.
Es war seit diesem Tage wirklich wie abgeschnitten. Marianne wartete und beobachtete. Die ersten Kundinnen stellten sich ein. Die Frau des Rechtsanwaltes hatte Harriets Kunst ihren Freundinnen weiter empfohlen, und Harriet zeichnete für jede von ihnen eigene Modelle mit einem Einfühlungsvermögen in den Charakter und die Besonderheiten ihrer Kundinnen, das verblüffend war. »Das muß so sein«, sagte sie einmal zu Marianne. »Ein Kleid ist keine Uniform. Jede Frau hat ein besonderes Etwas, was man durch die Kleidung unterstreichen kann. Oft sieht man es erst dadurch.« Und Marianne wunderte sich wieder, wie klug und voll unbewußter Menschenkenntnis Harriet war.
Es war acht Wochen nach Harriets neuem Schritt in das Leben – Marianne arbeitete von morgens bis zum Abend in der Anwaltskanzlei –, als eine neue Kundin kam. Sie war groß, schlank, blond mit einem rötlichen Schimmer, von weißer Haut in solch makelloser Vollkommenheit, daß es kaum einen größeren Gegensatz zu dem Braun Harriets gab. Die neue Kundin gab zur Begrüßung nur ihre Fingerspitzen, als bereite es ihr ein körperliches Unbehagen, Harriets Hände zu berühren.
»Sie sind mir empfohlen worden«, sagte die Besucherin und sah sich kritisch um. An den Wänden hinter der Nähmaschine hingen die Modellentwürfe Harriets. »Man sagt, daß Sie eine ganz besondere Richtung haben. Wie ich sehe, stimmt das.« Ihr Blick glitt zu Harriet zurück, die abwartend und schweigsam am Fenster stand. »Eigentlich erstaunlich.«
»Warum?« fragte Harriet.
Ihre Augen waren abwartend. Man merkte ihnen an, daß eine innere Abwehr vorhanden war.
»Ach, nur so.« Die blonde Dame mit der sehr weißen Haut setzte sich auf einen der Stühle und schlug die langen Beine übereinander. »Ich brauche drei Kleider. Ein Reisekostüm, ein Cocktailkleid und ein Kleid für alle Gelegenheiten.«
»Haben Sie schon die Stoffe?« fragte Harriet.
»Nein. Das überlasse ich Ihnen. Ich denke, daß Sie beim Zeichnen der Modelle auch gleich die Stoffe berücksichtigen. Oder nicht?«
»Doch. Aber jeder Geschmack –«
»Geschmack! Den sollen Sie haben. Es wird Ihre Aufgabe sein, mich davon zu überzeugen.«
Harriet zögerte. Eine innere Stimme riet ihr, diese Kundin abzulehnen. Ihre Haltung, ihr Blick, mit dem sie Harriet betrachtete, ihre spöttisch heruntergezogenen Mundwinkel, ihre blendende Weißheit, die sie gegen Harriets braune Haut ausspielte wie einen unstechbaren Trumpf, diese Schaustellung von Überlegenheit warnte sie. Aber dann schüttelte sie diese Gedanken ab. Nicht, weil die neue Kundin Geld brachte, sondern weil Harriet nicht gewillt war, einer Situation auszuweichen, die sie ärgerte, bevor sie noch akut geworden war.
Sie ergriff ihr großes Notizbuch, in das sie die Maße ihrer Kundinnen eintrug, und schlug eine neue Seite auf.
»Ihren Namen, bitte.«
Die junge Dame lehnte sich genußvoll zurück.
»Heidi Pachtner.«
Harriet schrieb ihn in das Buch. Er sagte ihr nichts. Bert Schumacher hatte nie mit ihr über das Mädchen gesprochen, das nach dem Willen seiner Eltern als seine Frau ausersehen war. Ernst Pachtner besaß ein großes Holzwerk, von dem die Firma Schumacher das Holz für die Möbelherstellung bezog. Die neuesten Furniere besorgte Pachtner für die Schumachermöbel, die beiden Senioren saßen zusammen in einigen Aufsichtsräten und kegelten gemeinsam. So war es selbstverständlich, daß allein schon vom Kaufmännischen her eine Zusammenlegung der Betriebe durch die Heirat Heidis mit Bert die logische Endentwicklung darstellte. Von diesen Absichten wußte nur Marianne etwas. Aber auch sie hatte nie
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