Die braune Rose
Gelegenheit gehabt, Harriet davon zu erzählen. Warum auch? Das Kapitel Schumacher war endgültig abgeschlossen.
Vergeblich wartete Heidi Pachtner auf eine Reaktion Harriets. Als sie nicht eintrat, beugte sie sich enttäuscht nach vorn.
»Bevor ich Maß nehme, entwerfe ich erst einige Modelle, wenn es Ihnen recht ist«, sagte Harriet.
»Aber es muß schnell gehen.«
»Wenn Sie in drei Tagen wiederkommen können.«
Am dritten Tag kam Heidi Pachtner wieder. Harriet legte ihr einige Blätter vor, die sie gezeichnet hatte. Mit zusammengekniffenen Augen betrachtete Heidi die Entwürfe. Sie gestand sich ein, daß Harriets Vorschläge bezaubernd waren, aber sie wehrte sich dagegen, das anzuerkennen. Mit einer lässigen Bewegung legte sie die Zeichnungen auf den Tisch zurück.
»Ein bißchen altmodisch, finden Sie nicht auch?« sagte sie und warf den Kopf in den Nacken. Ihre rotblonden Haare fielen in losen Wellen über das weiße, schmale Gesicht. Es war warm, ein schöner Frühherbsttag. Über dem Neckar stand flimmernd die Luft. Heidi Pachtner hatte sich ein fast schulterfreies Kleid übergezogen. Nur dünne Träger hielten es über der Brust fest.
»Es sind ganz neue Ideen«, sagte Harriet bescheiden.
»Sie gefallen mir nicht.« Heidi Pachtner sah sich im Zimmer um. »Haben Sie schon Stoffe gekauft?«
»Zur Auswahl habe ich ein paar mitgebracht?«
Mit spitzen Fingern betastete Heidi Pachtner die vorgelegten Stoffproben. Es waren ohne Ausnahme schöne, zu ihrer Erscheinung passende Stoffe. Ein Zwiespalt brach in Heidi auf. Sie war gekommen, um Harriet zu erniedrigen. Sie hatte nie die Absicht gehabt, sich von diesem Mischlingsmädchen ein Kleid nähen zu lassen. Herumjagen wollte sie Harriet, ihr Unfähigkeit nachsagen und dann in ihrem großen Bekanntenkreis erzählen, daß sich diese ›Negerin‹ abscheulich benommen habe, anmaßend, frech sogar, beleidigend.
Das alles zerschmolz jetzt in ihr beim Anblick der herrlichen Stoffe und der gezeichneten Modelle. Ihr weiblicher Instinkt für das Attraktive wurde stärker als die hochgezüchtete Rivalität.
Mit großer Überwindung schob Heidi die Stoffe weg.
»Sie haben einen ausgesprochen unkultivierten Geschmack«, sagte sie und stand auf. »Ich verstehe nicht, daß meine Bekannten mit Ihnen so zufrieden sind. Für mich ist hier absolut nichts dabei.«
»Ich bedauere das sehr«, sagte Harriet bescheiden.
»Sie müssen sich mehr Mühe geben, wenn Sie gute Kundinnen haben wollen.«
»Ich bin zufrieden mit dem, was ich schon habe.«
»Bei Ihrer Phantasielosigkeit werden sie bald alle wegbleiben. Los, kommen Sie, nehmen Sie schon Maß! Ich will Ihnen Ihre Mühe wenigstens belohnen. Machen Sie mir dieses Modell.« Sie tippte auf einen der Reisekostümentwürfe und auf einen hellgrauen englischen Tweedstoff. Es waren die besten Stücke in Harriets Vorschlägen. »Ich werde es zwar nie tragen«, sagte Heidi und sah auf Harriet kühl hinunter. »Aber mein Hausmädchen hat die gleiche Größe wie ich. Sie wird sich freuen.«
Harriet rührte sich nicht. Wieder stritten sich in ihr zwei Elemente ihres Wesens. Man sollte sie jetzt hinauswerfen, sagte sie sich. Ich habe sie nicht nötig. Aber dann sah sie den ironischen Blick von Heidis Augen, diese weiße Herausforderung ihres Körpers, und der wilde Trotz stieg in Harriet hoch. Sie nahm den Kampf auf. Warum zurückweichen, dachte sie. Ich weiß nicht warum, aber sie will mich demütigen. Es soll ihr nicht gelingen.
Sie holte das Maßband und nahm die Maße Heidis ab. Sie hatte einen schönen, ebenmäßigen Körper. Sie wußte es, und sie spielte ihn aus, als Harriet das Maßband um die einzelnen Körperpartien legte.
»Bitte am nächsten Freitag zur Anprobe«, sagte Harriet. Heidi Pachtner nickte. Sie legte zwei Hundertmarkscheine auf den Tisch, mit einer Geste, die bedeuten konnte: Da nimm, damit du nicht verhungerst.
»Für die Auslagen«, sagte sie dabei.
Am Freitag kam Heidi Pachtner wieder. Sie probierte die Kostümjacke über und ging zu dem großen Spiegel. Die Jacke saß vorzüglich, es brauchte nichts verändert werden. Es war ein Schnitt mit solchem Schwung, daß Heidi Mühe hatte, ihre Freude hinter einer starren Maske zu verbergen.
»Scheußlich!« sagte sie hart. »Ich werde sogar mein Hausmädchen überreden müssen, so etwas zu tragen.«
Harriet biß sich auf die Unterlippe. »Es … es tut mir leid«, sagte sie endlich gepreßt.
»Nun machen Sie schon weiter … der Stoff ist sowieso
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