Die braune Rose
neu.«
»Der deutsche Fleiß, Sir.« Koeberle setzte sich zurecht. Er hatte sein Gespräch. Über den deutschen Fleiß konnte man stundenlang referieren. Das deutsche Wunder, an dem er als Helfer in Steuersachen nicht ganz unbeteiligt war, bedurfte vieler Kommentare, um es den Staunenden begreifbar zu machen. »Wir haben unser Herz in diesen Aufbau gesteckt«, sagte er stolz.
Shirer nickte. »O yes. Und Marshallplan-Gelder …«
Koeberle sah etwas erschreckt und aus dem Konzept gebracht auf den Neger. Shirer starrte wieder aus dem Fenster. Sie fuhren durch Würzburg. Eine Straße unterhalb der Burg, etwas gewunden, sich verengend … früher waren dort, wo die neuen weißen Häuser stehen, so weit man sehen konnte, Trümmer. Zwei Frauen, die mit Eimern Wasser holten. Ein Mann, der hilflos auf der Straße stand und ein zweijähriges Mädchen an der Hand hielt. Er hatte Shirer gewunken, und er hatte seinen Jeep angehalten und gesagt: »Nix betteln! Weitergähen!«
»Ich will nicht betteln«, hatte der hilflose Mann gesagt. »Ich habe dieses Kind gefunden … dort in den Trümmern. Man muß es dort hingesetzt haben, damit es jemand findet. Es weiß seinen Namen nicht, es sagt nur immer: ›Mutti weg … Mutti weg … Mutti weint … Wo ist Mutti …?‹ Was soll ich mit dem Kind machen?«
Sergeant Shirer hatte das Kind in den Jeep genommen und war davongefahren. Es schrie gellend »Mutti! Mutti! Schwarze Mann! Schwarze Mann!« Und die Leute blieben auf den Straßen stehen und sahen ihm stumpf oder drohend, erschrocken oder gleichgültig nach. Nur eine grelle Frauenstimme schrie ihm zu: »Er stiehlt ein Kind! Er hat das Kind gestohlen! Negerpack! Nigger! Nigger!«
Da hatte er angehalten, war ausgestiegen, hatte der Frau ins Gesicht geschlagen, daß sie zu Boden fiel, und war weitergefahren. Das Kind gab er bei der Kommandantur ab. Es bekam zu essen, eine süße, rosarote Rosinensuppe, Kekse und Schokolade. Es saß glücklich im Magazin auf der Erde und spielte mit leeren Konservendosen.
Vor sechzehn Jahren. Heute mußte das Mädchen achtzehn sein. Was war aus ihm geworden?
Harry Bob Shirer seufzte wieder. Koeberle schielte zu ihm hin. Die Bemerkung mit dem Marshallplan hatte ihm mißfallen. Wir hätten es mit deutschem Fleiß auch ohne ihn geschafft, dachte er mit nationalem Stolz. Und überhaupt sind wir Deutschen der Vorposten der Welt gegen die Russen. Wenn man uns streichelt, geschieht es nur aus der Angst der anderen.
»Halten Sie, Stadtrat!« sagte Shirer plötzlich.
»Wie? Hier, auf der engen Straße?« –
»Halten Sie!«
Der Chauffeur bremste scharf. Hinter ihnen kreischten Bremsen und jaulten Reifen auf. Shirer stieg aus und stand riesig, den schwarzen Schädel in den Nacken geworfen, auf der Straße. Aus den haltenden Wagen tönten Schimpfworte zu ihm hinüber, jemand hupte wie wild, eine Stimme flog zu ihm: »Fahrt den Schwarzen doch um!«
Langsam sah sich Shirer um. Ja, hier war es. Dort stand der Mann mit dem gefundenen Kind. Ein hohes Haus mit gekachelter Front erhob sich jetzt auf dem gleichen Platz. Damals konnte man ungehindert bis zum Main blicken … jetzt stieß der Blick gegen aufragende blendende Mauern und Tausende glitzernde Fenster.
Harry Bob Shirer ging langsam zu dem Wagen, in dem ein junger Mann saß und anhaltend hupte. Shirer riß die Tür auf und hieb ihm auf den Arm. Mit einem Satz sprang der junge Mann heraus.
»Sie!« brüllte er. »Was fällt Ihnen ein?! Wo ist die Polizei?!«
»Uie alt sein Sie?« fragte Shirer laut.
»Dreiundzwanzig«, sagte der junge Mann völlig entgeistert.
»Dreiundzwanzig Jahre. Damals uiarst du also sieben Jahre. Ich habe dir Schokolade gegeben, und du hast stundenlang vor unserer Küche gestanden und hast gewartet. Give me a Keks, hast du gerufen! Ueißt du noch? And jetzt bist du ein frecher Mensch – Uarum müssen die Menschen immer alles vergessen?«
Ohne den jungen Mann weiter anzusehen, drehte sich Shirer um und ging zu seinem Wagen zurück. Eduard Koeberle war auch ausgestiegen und stand schwitzend neben dem Kofferraum. Jetzt sah man in der Autokolonne seinen schwarzen Anzug, den schwarzen Homburg und begriff das Offizielle der Situation.
»So ein Idiot«, sagte der junge Mann und stieg zurück in seinen Wagen. »Natürlich hab' ich Schokolade gekriegt. Die haben uns ja vorher auch zusammengehauen. Alle Städte haben sie zusammengewichst. Und nun kommen sie her und haben auch noch die große Fresse.«
»Kann ich etwas für Sie tun,
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