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Die braune Rose

Die braune Rose

Titel: Die braune Rose Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Sir?« fragte Koeberle. Hinter dem Rücken Shirers machte er zu der Autokolonne entschuldigende und erklärende Armbewegungen, die soviel hießen wie: Ich bin nicht schuld. Staatsbesuch!
    »Fahren wir«, sagte Shirer nachdenklich.
    Er saß von da an in sich gekehrt im Wagen, sah nicht mehr nach rechts oder links und beantwortete die Fragen Koeberles nicht. Ein Gespräch versandete völlig. Stadtrat Koeberle war glücklich, als sie endlich im Ausstellungsgelände eintrafen und der Oberbürgermeister die hohen Gäste begrüßte und unter seine Obhut nahm.
    Zwei Tage blieb Harry Bob Shirer in Würzburg. Er machte eine Weinprobe mit, besichtigte berühmte Kellereien, das Schloß, besuchte eine Opernvorstellung und ausgerechnet Othello, wo ein Schwarzer seine weiße Frau erwürgt, was dem für diesen neuen Mißgriff verantwortlichen Koeberle eine Rüge seiner Partei einbrachte. Zwar redete er sich mit der ›rassenverschmelzenden Musik Verdis‹ heraus, aber er trug innerlich sehr an diesem Fauxpas und meldete sich einen Tag lang krank.
    Am dritten Tag bekam Shirer aus Alabama einen Luftpostbrief ausgehändigt. Er war am Tage seines Abfluges angekommen und ihm nachgereist. Erstaunt las Shirer die Adresse und den Postvermerk von Alabama: ›Muß H. B. Shirer, jetzt in Gadsden, sein.‹ Von Gadsden aus war er mit dem Vermerk: ›Auf Europatrip. Station Würzburg, Ausstellung‹ wieder zum Flugzeug gebracht worden und zurück nach Deutschland gekommen.
    An Mister Harry Bob Shirer, früher Sergeant der US-Armee,
    davor Landesmeister im Halbschwergewichtsboxen. Alabama –
    USA.
    »Das bin ich. Natürlich«, sagte Shirer und drehte den Brief in den Fingern. Er hielt ihn gegen das Licht, schüttelte den wolligen Schädel und nagte an der dicken Unterlippe. Dann schlitzte er das Kuvert mit einem Kaffeelöffelstiel auf und entfaltete das Papier.
    »Lieber Vater –«, las er.
    Shirer übersetzte es in seine Sprache und ließ den Brief sinken. »Dear daddy –«
    »Verrückt!« sagte er laut. »Da hat mir Billy einen Streich gespielt. Na warte, Billy.« Er lächelte und fächelte mit dem Brief durch die Luft. Billy Sherwood war der Lebensmittelgroßhändler, der Shirers Drugstore belieferte. Dreimal hatte er Harry an der Nase herumgeführt, zuletzt mit einem Anruf, daß man ihn in das Stadtparlament von Gadsden wählen wolle, und er solle eine Wahlrede auswendig lernen. Jetzt kam dieser Brief mit der Anrede ›Dear daddy –‹. Harry Bob Shirer lächelte vergnügt und schwor Billy Sherwood Rache. Dann las er weiter.
    Als er den Brief bis zum Ende übersetzt hatte, lächelte er nicht mehr. Er prüfte die Marken und Stempel … es war alles echt. Der Brief kam aus Deutschland, es war kein Witz Billy Sherwoods … es war der Brief eines Mädchens, das Harriet-Rose hieß und ihn Daddy nannte.
    – »du mußt nach Europa kommen. Sofort! … Diese Welt um mich herum ist furchtbar. Darum komm, bitte …«
    Das war ein Schrei. Ein Schrei, den Shirer sofort verstand, wenn er an Alabama dachte und an die Tränen der kleinen, dunklen Kinder, die man verprügelte und wie streunende Hunde wegtrat, weil sie mit weißen Kindern spielen wollten …
    »… kennst du Mutti noch? Sie hieß Marianne Achenberg …«
    Marianne. Von Shirer fiel die Zeit ab. Ja, so hieß sie. Marianne. Schlank, blond, noch ein halbes Kind, mit großen, blauen Augen, die stumm auf die brutzelnden Fleischstücke starrten, auf die Kisten mit gefrorenen Gänsen, auf die Pakete mit Konserven und Schokolade. Marianne. Sie weinte, als es geschehen war, und sie hatte Grasbüschel im Mund, weil sie vor Schmerz den Kopf zur Erde gedreht und in den Boden gebissen hatte. »Ich werde dich heiraten und mit nach Alabama nehmen …« Ja, das hatte er damals gesagt. Und – Gott sei sein Zeuge – er hatte es auch damals geglaubt. Aber dann kam die Versetzung, kam der Befehl, daß man die ›Fräuleins‹ nicht zu heiraten brauche, daß es nie eine Erlaubnis geben würde, daß überhaupt die Fraternisation keinerlei Verpflichtungen bringe … Später hatte er Marianne vergessen … ihren Namen, ihren Vornamen, ihre blauen Augen und die weiße Haut. Er hatte später noch viele weiße Frauen geliebt. Sie boten sich ihm an und er zahlte dafür mit Zigaretten oder Dollar. Sie nannten ihn ›My boy‹ oder ›Killerdarling‹, betasteten seine Muskeln und quietschten wie junge Mäuse. Dann ging es zurück nach USA, er zog die Uniform aus und machte einen Drugstore auf. Ab und zu dachte er

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