Die Braut aus den Highlands
geblieben waren. Nach einer Weile hatte Merry ihre Stute zurückfallen lassen und Gerhard ihren Platz an Alex’ Seite abgetreten, damit der sich mit ihm unterhalten konnte. Nun war Alex erneut neben ihr, und sie zwang sich, nicht länger über Dinge nachzugrübeln, die sie ohnehin nicht ändern konnte, und rang sich ein Lächeln ab.
„Kommt Euch die Gegend vertraut vor?“, fragte Alex unerwartet. Eher gleichgültig ließ Merry den Blick über die Waldlandschaft um sie her schweifen. Was sie sah, wirkte nicht anders als die vergangenen Meilen des Weges, doch dann fielen ihr die Hügel voraus ins Auge. Sie erstarrte und neigte leicht den Kopf zu Seite, als sie den Höhenzug erkannte.
„Stewart.“ Sie seufzte den Namen des Ortes fast, nach dem sie sich eben noch verzehrt hatte.
„ Aye .“ Alex schenkte ihr ein warmes Lächeln. „Ich dachte mir, dass Ihr womöglich gerne vorbeischauen und Eure Familie und alten Freunde wiedersehen würdet, wenn wir schon einmal in der Nähe sind. Aber natürlich können wir auch weiterreiten, wenn ein Besuch nur unangenehme Erinnerungen in Euch wachrufen würde.“
Merry erwiderte sein Lächeln. Was für einen wahrhaft umsichtigen Gemahl sie doch hatte. Wieder ließ sie den Blick über die Hügel vor sich gleiten, während sie ihre Antwort erwog. Schließlich nickte sie. „Sofern es Euch nichts ausmacht, ein wenig Zeit zu opfern, würde ich mich gerne versichern, dass es meinem Vater und meinen Brüdern gut geht.“
„So sei es.“ Sie lächelten sich an, wobei Merry nicht entging, dass Gerhard, der sich ebenfalls hatte zurückfallen lassen und nun an Alex’ anderer Seite ritt, finster dreinblickte. Er schien über den Umweg alles andere als glücklich, und der Argwohn in seiner Miene sagte ihr, dass er auch für sie nicht unbedingt viel Gutes darin sah. Das sollte sie wohl nicht verwundern, dachte Merry bei sich. Zweifellos mutmaßte er, sie werde irgendeinen großartigen Plan ersinnen, der vorsah, ihrem Gemahl auf gewohntem Terrain den Garaus zu machen. Doch da sie gegen seine Gedanken kaum etwas ausrichten konnte, beachtete sie ihn nicht weiter, sondern schaute nach vorn in Richtung der Berge, ihrer Heimat entgegen.
Die Wachen waren die Ersten, die sie kommen sahen. Merry bemerkte, wie sie den sich nähernden Trupp zunächst reglos beobachteten. Sie hatten die Mauern fast erreicht, als die Stewart-Mannen endlich erkannten, dass es Merry war, die an der Seite ihres Gemahls die Reiterschar anführte. Sofort veränderte sich ihre Haltung. Sie entspannten sich, setzten ein herzliches Lächeln auf, und die meisten winkten gar und riefen ihr entgegen.
Sie lachte unbeschwert, winkte zurück, und dann ritten sie auch schon unter dem Torbogen hindurch und in den Burghof ein, wo sie recht abrupt zum Stehen kamen, da das Volk von Stewart herbeiströmte, um Merry zu begrüßen.
„Oh, Ihr seid wieder da!“
„Bleibt Ihr nun hier, Mädchen?“
„Wie proper Ihr ausseht!“
„Ist das da Euer Gemahl? Stattlich, der Mann!“
Von allen Seiten drangen die Rufe auf sie ein. Merry trieb ihre Stute behutsam vorwärts und versuchte dabei lächelnd, all die niederprasselnden Fragen zu beantworten. Aye , sie sei wieder da. Aye , dies sei ihr Gemahl, und nein, sie werde nicht bleiben, sie sei nur zu Besuch. Die Wärme und das aufrichtige Willkommen der Menschen von Stewart war wie Balsam für ihre Seele verglichen mit der Anspannung und dem Argwohn der vergangenen Tage. Erst jetzt merkte Merry, wie sehr es ihr zugesetzt hatte, unter Verdacht zu stehen. Sie hatte Verständnis gehabt, doch offenbar hatte es sie trotzdem verletzt.
Am Fuße der Treppe zum Wohnturm hielten sie die Pferde. Kaum war Merry aus dem Sattel, fand sie sich auch schon umringt von den Frauen, die ihnen über den Hof gefolgt waren und sie nun eine nach der anderen in die Arme schlossen. Von allen Seiten hörte sie Dinge wie „Gut, Euch so wohlauf zu sehen!“ und „Wir vermissen Euch hier, Mylady!“, immer und immer wieder. Wie gerne hätte Merry all diese Menschen auf den Wagen gepackt und mit nach d’Aumesbery genommen! Dann hätte sie sich wenigstens nicht mehr so allein gefühlt. Obwohl Una sie begleitet hatte, waren die drei Wochen nach ihrer Ankunft in England eine einsame Zeit gewesen. Sie hatte sich verloren und verlassen gefühlt und sich an Eddas Freundlichkeit geklammert. Nun allerdings musste sie diese Freundlichkeit in Frage stellen und somit auch die Frau, die sie ihr entgegengebracht hatte.
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