Die Braut des Cowboys
seinen Leuten die wenigste Erfahrung und war daher am meisten entbehrlich. Und ganz sicher würde er mit Begeisterung die Chance ergreifen wollen, mit dem augenblicklichen Objekt seiner Anbetung ein paar Stunden Zusammensein zu können.
Und er, Grant, würde sich wieder seiner normalen Rancharbeit widmen, endlich frei von Mercy Bradys beunruhigender Nähe.
Warum nur hatte er nicht schon viel früher daran gedacht?
Eine perfekte Lösung. Sehr zufrieden mit sich, widmete er sich wieder seinem Buch. Da er merkte, dass er vom gesamten letzten Kapitel nichts mitbekommen hatte, seit sie ihn nach Appaloosaschweifen gefragt hatte, musste er wieder zurückblättern.
Appaloosaschweife.
Joker.
Es ging nicht, er konnte die Reitstunden nicht an Chipper übergeben. Nicht wenn sie den Hengst ritt, der das wertvollste Stück der ganzen Ranch darstellte. Und ebenso wenig konnte er dem Jungen diese Riesenverantwortung aufbürden. Sicher, Joker hatte sich von Anfang an als ein perfekter Gentleman gezeigt, fast unnatürlich kooperativ und vorsichtig, war beim ersten Zeichen von Unsicherheit seiner Reiterin stehen geblieben.
Einige Pferde, besonders Hengste, nahmen nur zu gern die Gelegenheit wahr, ihre Reiter in einem solchen Moment abzuwerfen. Aber Joker benahm sich die ganze Zeit so, als wäre es sein einziges Ziel im Leben, Mercy im Sattel zu behalten.
Diese Besonderheit im Verhalten des Hengstes, plus ihrer exzellenten körperlichen Verfassung und ihrem ausgeprägten Gleichgewichtssinn, hatten dazu geführt, dass sie sehr viel schneller als von ihm erwartet Fortschritte gemacht hatte. Und die ungezwungene Art, wie sie und der Hengst miteinander umgingen, hatte ihn erstaunt. Sie und das Pferd entwickelten in schnellem Tempo etwas, was ganz selten war - die perfekte Kommunikation zwischen Pferd und Reiter. Schon der Anblick war eine reine Freude.
Dennoch durfte er es nicht dem unerfahrenen Chipper überlassen, allein mit Joker zurechtzukommen, falls irgendetwas schief gehen sollte. Selbst wenn er davon ausging, dass der Hengst sich auch in Zukunft untadelig benehmen würde, so konnte es doch sein, dass der junge Mann durch seine Nervosität eine gefährliche Situation noch verschlimmerte. Oft genug hatte Chipper erwähnt, er würde niemals ein wertvolles Pferd haben wollen, weil er ständig in Sorge wäre, es könnte ihm etwas passieren. Der arme Junge würde sehr wahrscheinlich schon bei dem Gedanken in Panik geraten, zugleich auf Joker und Mercy aufpassen zu müssen.
Grant klappte sein Buch wieder zu. Er wusste, es hatte einfach keinen Sinn. Er kam sich in die Enge getrieben vor, so wie der Luchs, den er im letzten Frühling im Heuschober überrascht hatte. Eine unangenehme Situation ...
Mercy saß in dem großen blauen Lehnstuhl, die Beine unter sich gezogen, den Quilt vom Bett darüber, und starrte hinaus in die ruhige, stille Nacht.
Einmal glaubte sie den hohen, lieblichen Ruf des
Wiesensterlings vom Pappelhain zu hören, aber das musste sie sich eingebildet haben. Ganz sicher war dieser kleine Vogel längst gen Süden gezogen.
Sie stieß einen Seufzer aus und hätte im nächsten Moment beinahe über sich selbst gelacht.
"Heute morgen hat dich die Melancholie gepackt, stimmt's?"
führte sie ein Selbstgespräch. Dann lächelte sie betrübt. Jack hatte sie mit diesen Worten immer aufgemuntert, wenn sie einmal niedergeschlagen gewesen war.
Sie hielt den Atem an, saß bewegungslos da, wartete. Der schreckliche, herzzerreißende Schmerz kam nicht. Sie war zwar immer noch traurig bei dem Gedanken an ihren toten Freund, Tränen stiegen ihr in die Augen, als sie an seine Witwe und die Kinder dachte, aber dieser Schmerz war nicht mehr da ... Und ihre Entschlossenheit hatte dennoch nicht nachgelassen.
Einen Moment lang empfand sie Schuldgefühle, als wäre es allein schon ein Betrug an die Erinnerung an Jack, dass sie nun ihren Schmerz aufarbeitete. Aber sie wusste, das war ein natürlicher Prozess. Außerdem hätte Jack nicht gewollt, dass sie weiterhin so heftig um ihn trauerte. Sein Tod sollte nicht ihr Leben zum Stillstand bringen.
Würde Jack das wirklich wollen?
Grants Worte kamen ihr wieder in den Sinn, und sie wusste nun mehr als je zuvor, dass er recht gehabt hatte. Jack hätte es nicht gewollt, dass sie mit ihm starb.
Er hatte es ihr sogar einmal gesagt, sie erinnerte sich auf einmal daran. Es war ihr erster gemeinsamer Tag auf Streife gewesen.
"Wenn mir etwas zustoßen sollte, sieh zu, dass du dich rettest
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