Die Braut des Florentiners - TB 2006/2007
ihr Leben riskieren, um den Schwächeren zu helfen. Dafür hat Gott manchen Menschen die Stärke gegeben – und die Entscheidungsfreiheit, sie richtig einzusetzen.«
»Das ist eine Sicht der Dinge.«
»Das ist meine Sicht der Dinge. Und der Teufel soll mich holen, wenn es nicht auch deine ist.«
»Was gibt dir die Sicherheit im Glauben, mein Bruder?«
Lorenzo nahm den leichten Tonfall Cortos auf, aber er meinte bitter ernst, was er sagte: »Ich habe meine zärtlichen Lieblingsschafe und meine leckeren Steine nicht zurückgelassen, um mich einem gewissenlosen Monster anzuschließen. Und Magdalena hätte sich auf der Straße eher totschlagen lassen, als dir zu folgen, wenn sie befürchtet hätte, dass du so etwas tun würdest, wie die Dörfler dem sicheren Tod zu überantworten, nur um selbst fliehen zu können.«
»So gut kennt ihr euch mittlerweile?«
»Nein. So gut kennt sie jeden, mit dem sie zu tun hat.«
Corto schien das eine Weile zu verdauen. »Ich habe die Verantwortung für meine Leute«, sagte er dann.
»Die Dörfler sind jetzt auch deine Leute.«
»Was werdet ihr tun, wenn sie wieder gesund ist?«
Cortos Frage gab Lorenzo einen Stich. Sie war vollkommen abseits des Gesprächsfadens, doch er hatte keine Mühe, sich darauf einzustellen. Der weitaus größere Teil seines Geists beschäftigte sich nach wie vor mit ihr. Er versuchte zu antworten, aber es gab keine Antwort. Corto hörte sich sein Schweigen ein paar Augenblicke lang an.
»Du zweifelst doch nicht daran, dass sie wieder gesund wird?«
»Ich weiß es nicht«, flüsterte Lorenzo.
»Du bist ein Idiot«, sagte Corto. Lorenzo fand kein Argument dagegen. »Glaubst du, dass es eine Zukunft gibt – für einen wie dich und eine wie sie?«
Etwas drang durch Lorenzos Sorge. »Was willst du mich eigentlich wirklich fragen?«, erkundigte er sich.
Corto wich aus. »Wenn es eine Zukunft gibt, fällt mir vielleicht eine vierte Möglichkeit ein.«
Lorenzo musterte Corto, doch dessen Blick war in die Nacht gerichtet. Er wartete darauf, dass Corto weitersprach.
»Wir locken sie in die Falle«, sagte Corto.
Kapitel 41.
F rancesco Giallo stierte mit offenen Augen in die Dunkelheit. Seine Furcht war so groß, dass er meinte, nicht still liegen zu können. Alle paar Augenblicke fuhr er sich über das Gesicht, kratzte sich am Körper, streichelte seinen angstgeblähten Bauch, ballte die Zehen oder blinzelte krampfhaft. Dann und wann löste sich ein Wind, und obwohl er die Hinterbacken zusammenpresste, entfuhren sie mit einem gequälten Flötenton. Selbst seine Därme schienen furchtsam zu wimmern.
Neben ihm, angebunden an einen Baum und nach außen hin mit sich und der Welt im Reinen, schnarchte der Mann, den die Banditen im Dorf gefangen genommen hatten. Bis jetzt hatte er Francescos Hoffnung, in einem unbewachten Moment fliehen zu können und ihn, Francesco, dabei mitzunehmen, nicht erfüllt. Nicht, dass nicht ein großzügiges Angebot vonseiten Francescos für diesen Fall im Raum stünde; ein Angebot, das Francesco immer mehr bereute, je länger er in der Nähe dieses Mannes saß und ihn beobachten konnte. Es war, als betrachtete man ein tollwütiges Raubtier, das auf der Lauer lag.
Als er die Schritte hörte, die sich näherten, schloss er erschrocken die Augen und stellte sich schlafend. Er hörte Cortos Stimme, der den jungen Kerl ablöste, der die Gefangenen bewacht hatte. Giallo drehte sich zur Seite und wagte es nach einem heftigen inneren Kampf, durch die Lider zu blinzeln. Er sah Verruca in der Nacht verschwinden; Corto hatte seinen Platz ein paar Schritte entfernt eingenommen und drehte ihnen halb den Rücken zu. Der Mann gähnte, doch Giallo war keine Sekunde lang bereit zu glauben, dass seine Wachsamkeit nachlassen würde. Georg Vogler grunzte und schmatzte im Schlaf, und Corto wandte sich um. Francesco presste entsetzt die Lider zusammen. Vogler lag wieder still. Als Francesco genügend Mut gesammelt hatte, um erneut zu spähen, saß Corto regungslos da und summte leise vor sich hin. Die beiden Jungen, die neben den unverletzt gebliebenen Klosterschwestern und Clarice Tintori lagen, wälzten sich herum. Einer fuhr plötzlich in die Höhe, murmelte etwas, fiel wieder um wie ein Sack und begann kurz darauf mit einem erstaunlich erwachsenen Schnarchen. Gleich danach richtete sich eine dunkle Gestalt langsam und fast lautlos auf – eine der beiden Nonnen. Corto unterbrach sein Summen und wechselte die Position, sodass er der jungen Frau
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